Zwischen Ablehnung und Idealisierung: Deutungen in der Bundesrepublik Deutschland

Autor: Milan Spindler

Der deutsche Blick auf den Krieg in Italien blieb über Jahrzehnte eingeschränkt, verzerrt oder wurde vollständig ausgeblendet. Erst allmählich veränderte sich die Wahrnehmung – zunächst in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen, später zunehmend im öffentlichen und politischen Raum.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die 1950er Jahre hinein herrschte in der Bundesrepublik eine Atmosphäre des Schweigens. Die Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Verbrechen fand kaum statt. Stattdessen standen eigene Erfahrungen von Leid und Verlust, etwa durch Vertreibung oder alliierte Luftangriffe, im Vordergrund. Italien galt vielen weiterhin als ehemaliger Bündnispartner. Die Resistenza wurde – insbesondere in konservativen Kreisen – als kommunistisch beeinflusst betrachtet und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges selten als legitimer Freiheitskampf anerkannt. In der öffentlichen Debatte spielte sie kaum eine Rolle. Auffällig ist hingegen, dass deutsche Kriegsverbrecher, die in Italien verurteilt und inhaftiert worden waren, in Teilen der westdeutschen Gesellschaft auf Sympathie und Unterstützung stießen.

Auch auf kultureller und literarischer Ebene wurde das Bild vom Widerstand in Italien über Jahre hinweg durch die Perspektive ehemaliger Wehrmachtssoldaten geprägt. In ihren Erinnerungen galten Partisanen als feige oder verbrecherisch – als Gegner, die sich dem offenen Kampf entzogen. Dieses Deutungsmuster bestimmte nicht nur die Wahrnehmung der Resistenza, sondern auch die Darstellung anderer Widerstandsbewegungen im besetzten Europa.

Überwiegend deutsche Teilnehmer:innen während einer Wanderung auf den Partisanenpfaden im Apennin von Reggio Emilia, September 2014 © Istoreco Reggio Emilia / Milan Spindler

Ein Wandel setzte erst in den 1960er- und 1970er Jahren ein. Mit dem Generationenwechsel und den gesellschaftlichen Umbrüchen, insbesondere der Studentenbewegung, rückte die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit verstärkt in den Fokus. In linken und intellektuellen Milieus wurde die Figur des Partisanen zunehmend als Symbol des antifaschistischen Widerstands neu interpretiert. Die Auseinandersetzung mit Italien fiel leichter als mit dem weitgehend unbekannten osteuropäischen Raum, der in der deutschen Öffentlichkeit kaum präsent war.

Parallel entwickelte sich eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Rolle Italiens im Zweiten Weltkrieg, jenseits der alten Bündniskategorien. Italien wurde nun auch als Schauplatz einer eigenständigen und vielgestaltigen Widerstandsbewegung wahrgenommen. Forschung, Zeitungsberichterstattung, Dokumentarfilm und Belletristik begannen, die deutsche Besatzung differenzierter darzustellen.

Ein Denkmal in Albinea bei Reggio Emilia erinnert an ein Gefecht zwischen Partisanen und britischen Soldaten und der Wehrmacht am 27. März 1945. Hier fanden auch Gedenkveranstaltungen für fünf am 26. August 1944 hingerichteten deutsche Deserteure statt, welche versucht hatten sich zu den Partisanen abzusetzen © Monumento Albinea disertori, Istoreco Reggio Emilia Albinea_1

Seit den 1980er-Jahren erfuhr die Erinnerungskultur eine zunehmende Institutionalisierung. Städtepartnerschaften, schulische Austauschprogramme und Gedenkveranstaltungen leisteten einen Beitrag zur historischen Aufarbeitung. Ein besonders sensibles Thema blieb jedoch der Umgang mit jenen deutschen Soldaten, die desertierten und sich der Resistenza anschlossen. In der Bundesrepublik galten sie lange Zeit als Verräter; die gegen sie verhängten Urteile wegen Fahnenflucht behielten ihre Gültigkeit. Erst im Jahr 2002 wurden diese Urteile offiziell aufgehoben und Deserteure als Opfer des NS-Unrechts anerkannt – zu einem Zeitpunkt, als sie in Italien längst durch Gedenktafeln und Denkmäler als „buoni tedeschi“, als „gute Deutsche“, gewürdigt wurden. Dennoch passten sie nicht recht in die italienische Erinnerungskultur, die sich nach 1945 betont vom deutschen Nationalsozialismus abgrenzte.

 

Seit den 2000er Jahren verstärkte sich die transnationale Erinnerungskultur. Deutsche und italienische Staatsoberhäupter gedachten gemeinsam der Opfer der deutschen Besatzung, etwa beim Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck und Präsident Giorgio Napolitano in Sant’Anna di Stazzema im Jahr 2013. Schulische Initiativen, digitale Gedenkprojekte, Theaterstücke, Filme und literarische Arbeiten trugen zu einer weitergehenden Auseinandersetzung mit der Resistenza bei. Bildungsreisen führen inzwischen zu Orten des Widerstands in Italien und verbinden historische Aufklärung mit persönlichen Begegnungen.

Gleichwohl bleibt das Wissen über den Zweiten Weltkrieg in Italien in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit begrenzt. Nicht alle Aspekte der Besatzungszeit sind gleichermaßen präsent. Dennoch hat sich die offizielle Haltung der Bundesrepublik deutlich gewandelt – von Ignoranz und Abwertung hin zu Anerkennung und dem Bekenntnis historischer Verantwortung.

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