Monte Sole

Das Foto zeigt eine hügelige Berglandschaft: Wiesen und schroffe Hänge wechseln sich ab mit Waldstücken. Der Himmel ist blau und wolkenlos, es scheint früh am Morgen zu sein.
Monte Sole und Monte Caprara von Cadotto aus. © Udo Gümpel

29 September 1944 – 5 Oktober 1944 , Gebiet von Monte Sole (Gebiet der Gemeinden Marzabotto, Vado-Monzuno und Grizzana, Bologna, Emilia Romagna)

Am 29. und 30. September 1944 fand zwischen dem Reno- und dem Setta-Tal im Apennin nahe Bologna das schwerste Massaker deutscher Truppen gegen die Zivilbevölkerung in West- und Südeuropa statt. Bis zum 5. Oktober folgten weitere schwere Gewalttaten.

Für die meisten der Morde an Frauen, Kindern und älteren Menschen waren die Soldaten der von SS-Sturmbannführer Walter Reder geführten SS-Panzer-Aufklärungs-Abteilung verantwortlich. Erst nach dem Krieg wurde der Versuch unternommen, die Zahl der Opfer zu ermitteln. Etwa 770 Menschen wurden ermordet. Die Massaker fanden an 115 Orten in der Umgebung des Monte Sole statt, wobei größere Orte und einzelne Gehöfte gleichermaßen betroffen waren. Im Folgenden werden die neun am besten dokumentierten Massaker dargestellt.

Verantwortliche Einheit

Die gesamte SS-Aufklärungs-Abteilung 16 "Reichsführer-SS" 

Eine Kampfgruppe unter der Leitung eines SS-Führers der Ic-Abteilung des Divisionsstabs 

Eine Batterie der SS-Flak-Abteilung 16 

Teile des SS-Panzer-Grenadier-Regiments 35 

Teile des SS-Artillerie-Regiments 16 

Verschiedene Alarmeinheiten (nicht bekannt, ob der Waffen-SS oder der Wehrmacht zugehörig) 

Teile des Flak-Regiments 105 (Luftwaffe), einschließlich der leichten Flak-Abteilung 945 (Luftwaffe) 

IV. Bataillon [eigentlich III. Bataillon] (Ost)/Grenadier-Regiment 1059 (ehemaliges Ost-Bataillon 560, später Russisches Bataillon 560) des Heeres.

 

Kommando

I. Fallschirmkorps, 16. SS-Panzer-Grenadier-Division "Reichsführer-SS", Sicherungskommandant

Täter

Max Simon, Helmut Looß, Walter Reder, ihre Kompaniechefs Willfried Segebrecht, Werner Horst Szillat, Friedrich Schmidtkonz, Max Adam Saalfrank und deren Männer, darunter die Angeklagten im Prozess von La Spezia.

Opfer

770 

Untersuchungen und Prozesse

1947: Verfahren des britischen Militärgerichts in Padua gegen Max Simon wegen der Massaker seiner Division in den Regionen Emilia und Toskana. Das Todesurteil wurde in lebenslange Haft umgewandelt. 1948 wurde die Strafe auf 21 Jahre herabgesetzt, Simons Freilassung erfolgte 1954.

1951: Verfahren des Militärgerichts Bologna gegen Walter Reder und Verurteilung; 1954 Bestätigung des Urteils zu lebenslanger Haft. 1980 bewilligte das Militärgericht in Bari die Freilassung auf Bewährung; 1985 wurde Reder entlassen und durfte nach Österreich zurückkehren.

2002-2007: Verfahren der Militärstaatsanwaltschaft vor dem Militärgericht von La Spezia gegen 17 ehemalige SS-Führer, -Unterführer und Soldaten der 16. SS-Panzer-Grenadier-Division „Reichsführer-SS“. Am 13. Januar 2007 wurden zehn Beschuldigte zu lebenslanger Haft verurteilt, sieben wurden freigesprochen. Das Militärberufungsgericht in Rom hob am 7. Mai 2008 zwei der Urteile auf: eines durch Freispruch, eines aufgrund des Todes des Verurteilten. Ein weiterer Beschuldigter, der zuvor in La Spezia freigesprochen worden war, wurde jetzt verurteilt.

2003-2009: Verfahren der Staatsanwaltschaft München gegen Franz Stockinger und weitere ehemalige Angehörige der SS-Aufklärungs-Abteilung 16. Das Verfahren wurde 2009 eingestellt.

 

Streitkräfte
Waffen-SS
Dieselbe Berglandschaft: Nun liegt sie zu einem großen Teil im Schatten.
Blick von Cadotto auf den Monte Sole. © Udo Gümpel

Das Massaker

Das großangelegte Unternehmen wurde durch den Stab des I. Fallschirmkorps vorbereitet. Mit seiner Durchführung wurde die Division "Reichsführer-SS" betraut. Die für den Frontabschnitt zuständige 14. Armee spricht in Bezug auf diese Operation von einem "Vernichtungsunternehmen": Die Verwendung dieses Begriffs für Aktionen zur Partisanenbekämpfung war in den Dokumenten ansonsten unüblich.
Das Kommando über die gesamte Operation hatte, wie schon bei früheren SS- Säuberungsaktionen in der Toskana,  SS-Sturmbannführer Helmut Looß, der die Führungsabteilung Ic des Divisionsstabs leitete und für die Sicherheit im rückwärtigen Gebiet zuständig war.
Abbildung eines historischen Dokuments der 14. Armee: Es bezeichnet die Aktion am Monte Sole als Vernichtungsunternehmen und führt die daran beteiligten Einheiten auf. Der Feind, die Partisanen der Stella Rossa, haben demnach verbissen gekämpft.
Auszug aus den Meldungen der 14. Armee, mit Berichten über die laufende Durchkämmungsaktion. © BArch, RH 20-14/114
Die Spuren des Massakers waren überall sichtbar, weil nicht alle Opfer in den Tagen nach dem Morden begraben worden waren. Einige deutsche und alliierte Soldaten haben darüber in ihren Tagebüchern berichtet. So schreibt der Militärhistoriker Neil Orpen: „Reconnoitering forward to Cadotto, they found the village badly wrecked. About 17 civilians dead, including women and children who were obviously victims of atrocities, were found among the ruins”.

Ermittlungen und Prozesse

Im Herbst 1951 verurteilte das Militärgericht in Bologna Reder zu lebenslanger Haft. Die Justiz ging jedoch nie gegen andere überlebende Kompaniechefs wie Saalfrank, Segebrecht und Szillat vor, die eine ebenso schwere Verantwortung trugen.
Am 17. April 2002 fand im Rahmen eines Italienbesuchs des deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau eine Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte in Marzabotto und am Monte Sole statt. Es war der erste Besuch eines so hohen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland an den Orten des Massakers. Vor den Angehörigen der Opfer drückte Johannes Rau "Trauer und Scham" aus.

Erinnerung

Gemessen an der Zahl der Opfer und der Größe des betroffenen Gebietes ist das Massaker von Monte Sole das schwerste Kriegsverbrechen deutscher Truppen während der Besatzung Italiens und das größte, das in Westeuropa an der Zivilbevölkerung verübt wurde.
  • A small bouquet of flowers is attached to an iron gravestone marker. Behind it on the right is another gravestone and a cross made of iron. A tall cross standing behind the small gravestone is hung with colourful flowers along its entire length. There are no paths in the cemetery. It is surrounded by a high stone wall, which shows a semicircular recess in the left half of the picture.
    Der Friedhof von Casaglia, 2014. © Elena Pirazzoli
  • In die teils beschädigte Mauer des Friedhofs von Casaglia sind mehrere Grabsteine eingebracht.
    Die Friedhofsmauer von Casaglia, 2014. © Elena Pirazzoli
  • In einem Waldstück steht der Überrest der steinernen Eingangspforte der Kirche. Inzwischen wird der Mauerrest von dicken Holzpfählen gestützt.
    Die Kirche von Casaglia, 2014. © Elena Pirazzoli
  • Das Foto zeigt die Berglandschaft um den Monte Sole. Am unteren Bildrand sind einzelne Häuser auszumachen.
    Luftaufnahme von Cadotto, Monte Sole und Monte Caprara. © Udo Gümpel
  • Das Foto zeigt eine hügelige Berglandschaft: Wiesen und schroffe Hänge wechseln sich ab mit Waldstücken. Der Himmel ist blau und wolkenlos, es scheint früh am Morgen zu sein.
    Monte Sole und Monte Caprara von Cadotto aus. © Udo Gümpel
Die Tagesmeldung der 14. Armee vom 2. Oktober fasst die Ergebnisse der Operationen am Monte Sole aus Sicht der deutschen Truppen zusammen: Es ist die Rede von “718 Feindtoten, davon 497 Banditen und 221 Bandenhelfer”. Des Weiteren gibt es Auflistungen über zerstörte Gebäude und Infrastruktur sowie die während der Aktion erbeuteten Güter, darunter auch Vieh.
Tagesmeldung der 14. Armee, 2. Oktober 1944: Im Rahmen der Aktionen am Monte Sole habe es ”718 Feindtote” gegeben. © BArch, RH 20-12/121
  • Im Vordergrund des Bildes gehen Johannes Rau und Azeglio Ciampi nebeneinander in das Mausoleum, in dem die Opfer der Massaker am Monte Sole beerdigt sind. In die Wand auf der linken Seite sind hohe Marmortafeln eingebracht, auf denen die Namen der Getöteten zu lesen sind. Hinter den beiden Männern ist der Eingang zum Mausoleum zu sehen. Am oberen Ende der Treppe, die dorthin führt, stehen zahlreiche Menschen.
    Johannes Rau und Carlo Azeglio Ciampi besuchen die Gedenkstätte in Marzabotto. © Bundesregierung / Christian Stutterheim
  • Vor dem Altar im Mausoleum stehen zwei Soldaten in Gardeuniform. Der zwischen ihnen auf einem Stativ stehende Blumenkranz trägt Bänder in den Farben Italiens und Deutschlands. Den Soldaten gegenüber stehen Johannes Rau und Azeglio Ciampi.
    Johannes Rau und Carlo Azeglio Ciampi legen einen Kranz in der Gedenkstätte Marzabotto nieder. © Bundesregierung / Christian Stutterheim
  • Johannes Rau und Carlo Azeglio Ciampi unter den Teilnehmern an den Marzabotto-Gedenkfeiern.
    Johannes Rau und Carlo Azeglio Ciampi bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer von Marzabotto. © Bundesregierung / Christian Stutterheim

Quellen

Das Militärarchiv Freiburg bewahrt einige Dokumente über die Aktionen deutscher Truppen in Monte Sole auf. Unterlagen der unmittelbar verantwortlichen Einheiten und Kommandos (SS-Division "Reichsführer-SS" und I. Fallschirmkorps) sind nicht mehr erhalten. Die verbliebenen wichtigsten Dokumente wurden in den Beständen der 14. Armee aufbewahrt, des für die Front westlich des Futa-Passes zuständigen Oberkommandos. Am bekanntesten sind Ia- und Ic- Tagesmeldungen der 14. Armee, die an das Kommando OB Südwest (Kesselring) geschickt wurden. Sie enthalten möglicherweise Auszüge aus dem Originalbericht der Division "Reichsführer-SS". 

Weniger bekannt, aber ebenso bedeutsam sind einige Anmerkungen im Kriegstagebuch Nr. 4 der Ia-Abteilung (BArch RH 20-14/41), in denen von einem Telefongespräch am 29. September um 15:05 Uhr zwischen dem Chef des Stabes der 14. Armee, General Hauser, und dem Chef des Generalstabes des I. Fallschirmkorps, Oberst von Hofmann, berichtet wird. Hauser mahnte an dieser Stelle, die Operationen am Monte Sole seien „nach den von der Heeresgruppe und der Armee gegebenen Richtlinien" durchzuführen, wobei es vor allem "keine Übergriffe” geben sollte. 

In der Tagesmeldung der Führungsabteilungen Ic der 14. Armee vom 30. September (RH 20-14/114, IC-Tagesmeldung, 30.9.44) wird die Razzia als „Vernichtungsunternehmen“ bezeichnet. Angaben über die Verluste der deutschen Abteilungen bei den Kämpfen mit den Partisanen am 29. September sind in den Dokumenten des Bundesarchivs PA in Berlin zu finden (ehemals Deutsche Dienststelle/WASt). 

Die Dokumentation der alliierten Truppen ist weitgehend im Nationalarchiv von Washington, D.C. (US NARA) erhältlich und einsehbar. Es sind die ersten Nachrichten und Berichte über die Massaker bereits im Herbst 1944, die Verhöre der ersten deutschen Gefangenen und Deserteure sowie komplexe Untersuchungen. Die Dokumente befinden sich wie folgt: Record Group 238, Entry 2, Box 10, Case 16-70 (San Martino/Monzuno) und Record Group 153, Entry 143, Box 528, Case 16-70 (San Martino/Monzuno). 

In den National Archives in Kew (London) finden sich die Akten der Ermittlungen (WO 310/121, aber auch 310/114 und /197) und der Prozesse gegen Feldmarschall Kesselring (WO 235/366-376), die 1947 in Venedig stattfanden, sowie des Prozesses gegen den Divisionskommandeur SS-Obergruppenführer Max Simon, der im selben Jahr in Padua stattfand (WO 235/584-588). Besonders wichtig für die Rekonstruktion des Tatherganges des Massakers ist die Aussage des aus dem Elsass stammenden SS-Soldaten Julien Legoll.

Für Italien ist die im Zuge der beiden großen Prozesse erstellte Dokumentation am bedeutsamsten: Der erste Prozess gegen Walter Reder fand vom 18. September bis 31. Oktober 1951 in Bologna statt, der zweite Prozess 2006 in La Spezia gegen zahlreiche ehemalige SS-Führer und -Unterführer des Bataillons Reder. Diese Dokumente wurden bis zur Auflösung der Militärstaatsanwaltschaft La Spezia im Jahr 2008 in deren Archiv aufbewahrt. Heute sind diese Dokumente im Archiv des Militärgerichts von Rom hinterlegt.

Auswahl der Bibliografie

Luca Baldissara, Paolo Pezzino, Il massacro. Guerra ai civili a Monte Sole, Bologna, Il Mulino, 2009.

Marco De Paolis, Paolo Pezzino, Monte Sole Marzabotto. Il processo, la storia, i documenti, Rom, Viella, 2023.

Carlo Gentile, Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943-1945, Paderborn, Ferdinand Schöningh, 2012, S.238-250.

Luciano Gherardi, Le querce di Monte Sole: vita e morte delle comunità martiri fra Setta e Reno, 1898-1944, Bologna, Il Mulino, 1986.

Jack Olsen, Silence on Monte Sole, New York, Putnam, 1968.

Andrea Ventura, I tempi del ricordo. La memoria pubblica del massacro di Monte Sole dal 1945 a oggi, Reggio Emilia, Zikkaron, 2016.

Dario Zanini, Marzabotto e dintorni, 1944, Bologna, Ponte Nuovo, 1996. S. 529-531

Autor*innenschaft und Übersetzung

Autor: Carlo Gentile

Übersetzt aus dem Italienischen durch: Giulia Gostoli

© Projekt "Die Massaker im besetzten Italien (1943–45) in der Erinnerung der Täter“

2023

Text: CC BY NC SA 4.0

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