* 31 Oktober 1905 –
Stralsund, Pommern
† 16 März 1994 –
Bad Nauheim, Hessen
Wolf Ewert war der Sohn eines preußischen Offiziers und besuchte ab dem Alter von 11 Jahren ein militärisches Internat. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg sowie die folgenden Unruhen erlebte er als traumatisch. Im Jahr 1924 trat er in die Reichswehr ein und diente in einem Infanterieregiment in Norddeutschland. 1929 wurde er Offizier. Ewert setzte seine Karriere in den 30er und 40er Jahren fort. Eine Mitgliedschaft in der NSDAP ist nicht nachzuweisen.
Am Frankreichfeldzug nahm er mit seinen Soldaten lediglich während der letzten Tage teil. Erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 führte er ein Bataillon im Kampf.
An der Ostfront kam er mit dem Partisanenkrieg in Berührung und wurde Zeuge von harten Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten in Charkiw 1941. Nach einer Verwundung im Nahkampf wurde er im Februar 1944 Kommandeur des an der Italienfront eingesetzten Grenadier-Regiments 274 der 94. Infanterie-Division.
Nach schweren Kämpfen gegen die Alliierten im Mai 1944 zog er sich mit seinem Regiment über Latium und Umbrien bis zur Linie des Trasimenischen Sees und Arezzo zurück.
Mitte Juli 1944 kam es im Abschnitt seines Regiments zu Massenerschießungen in San Polo, San Severo und auf dem Gehöft von Badicroce.
1967 ermittelte die Staatsanwaltschaft Gießen gegen ihn und andere Angehörige des Regiments wegen des Massakers von San Polo. Allerdings wurde das Verfahren 1972 eingestellt.
Während der gesamten Kriegszeit führte er ein Tagebuch.
Frankreich 1940
Besatzung Polens 1940
Operation Barbarossa 1941
Ostfront 1941-1943
Italienische Front Februar - September 1944
Westfront 1944-1945
Bestätigte Massaker
San Polo
Nachkriegszeit
1967: Ermittlung der Staatsanwaltschaft Gießen 1972: Einstellung der Ermittlung
Ausbildung und Kriegserfahrung
Ausbildung
Wolf Ewert wurde 1905 in eine alte Junkersfamilie in Stralsund (Pommern) geboren. Der Vater war ein preußischer Offizier, die Mutter entstammte einem alten schwedischen Geschlecht und war Tochter eines Bezirksarztes. Ewert besuchte die Schule im badischen Offenburg, da sein Vater 1913 dorthin versetzt worden war. 1914 schloss er sich der aus Schülern und Studenten zusammengesetzten Jugendbewegung "Wandervogel" an, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sehr populär war. Im Alter von 11 Jahren trat er 1916 nach eigenem Wunsch in ein Kadettenkorps in Naumburg an der Saale ein, wie er später in seinen Memoiren schrieb. 1919 kehrte seine Familie nach Stralsund zurück und im März 1921 starb sein Vater.
Die Rückkehr des Vaters aus dem Ersten Weltkrieg, dessen Enttäuschung über die Niederlage und die Unruhen der ersten Friedensmonate erlebte der junge Ewert als traumatisch. Daher entschied er sich dafür, wie sein Vater die Offizierslaufbahn einzuschlagen. 1924 trat er in die Reichswehr ein. Er diente in einem preußischen Infanterie-Regiment in Norddeutschland und wurde 1929 zum Leutnant ernannt. Nach seiner Patentierung verlobte er sich mit der Tochter eines sächsischen Generals. 1932 fand die Hochzeit statt. Das Ehepaar hatte drei Töchter und einen Sohn. Ewerts militärische Karriere verlief weiterhin reibungslos. Ende der Dreißiger Jahre war er Kompaniechef im Wachregiment Berlin, danach im Infanterie-Regiment "Großdeutschland", das repräsentative Aufgaben in der Hauptstadt wahrnahm.
Wolf Ewert im Krieg an der Ostfront
Ewert nahm nur am Rande an den ersten Feldzügen der Wehrmacht teil, obwohl er mehrfach beantragt hatte, zu einer kämpfenden Einheit versetzt zu werden. Sein Regiment wurde erst gegen Ende der Kampfhandlungen in Frankreich an die Front und sofort danach als Besatzungsverband für einige Monate nach Polen versetzt. Seinen ersten Kampfeinsatz erlebte er am 22. Juni 1941, als der Überfall auf die Sowjetunion begann. Ewert nahm daran als Kommandeur eines Bataillons im Grenadier-Regiment 196 der 98. Infanterie-Division teil und zeichnete sich dabei im Kampf aus.
Während seiner Zeit an der Ostfront kam Ewert mehrmals mit dem Partisanenkrieg in Berührung. In Charkiw (Charkow) erlebte er im November 1941 die Explosion einiger Zeitbomben, die von der Roten Armee vor ihrem Rückzug in den Hauptgebäuden der Stadt platziert worden waren. Einige Offiziere und Soldaten seiner Division, darunter der Kommandeur General Georg Braun, kamen dabei ums Leben. Als Vergeltung nahmen die Truppen 1.200 Zivilisten, Juden und kommunistische Parteimitglieder fest. 50 von ihnen wurden mitten in der Stadt gehenkt, 100 erschossen und die Übrigen in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Ewert hatte Kenntnis von diesen Vorgängen. Er schrieb darüber in seinem Tagebuch und fügte zwei Fotos der Erhängten bei. Bis Ende 1943 war er an der Ostfront eingesetzt. Dort übernahm er die Führung des Regiments und wurde zum Oberstleutnant befördert. Im November 1943 wurde er im Nahkampf bei einem Gegenangriff nördlich von Kiyv (Kiew) verwundet.
An Massenerschießungen beteiligt
Versetzung nach Italien
Nach seiner Genesung in Stralsund wurde Ewert an die italienische Front versetzt. Er übernahm um den 6. Februar 1944 das Kommando über das Grenadier-Regiment 274 der 94. Infanterie-Division, das an der Garigliano-Front und am Golf von Gaeta im Einsatz war. Nachdem das Regiment im Mai 1944 in schwere Kämpfe gegen nordafrikanische Truppen des französischen Expeditionskorps verwickelt worden war, zog sich Ewert mit den verbliebenen Truppen über Latium und Umbrien zurück bis auf die Höhe von Perugia und des Trasimenischen Sees. Sein stark angeschlagenes Regiment wurde der 305. Infanterie-Division unter General Friedrich-Wilhelm Hauck unterstellt. Auch in diesem Frontabschnitt kam es zu heftigen Kämpfen. Weil er einen Durchbruchsversuch der Alliierten in der Nähe von Perugia verhindert hatte, wurde Ewert mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Anfang Juli 1944 zog sich das Regiment nördlich von Perugia durch die Hügel der Toskana und Umbriens weiter zurück und erreichte die Gegend um Arezzo.
"Palazzo del Pero. Dauernde Vorfälle mit Banditen, Ermordung von deutschen Soldaten veranlaßten mich, gegenüber gefangenen Partisanen sehr scharf durchzugreifen."
Beim Rückzug von Perugia traf Oberst Ewert zum ersten Mal auf italienische Partisanen. Wie er später in seinem Tagebuch schilderte, überfielen diese ihn am 30. Juni, während er eine neue Stellung für sein Regiment auskundschaftete. Trotz seiner späteren dramatischen Beschreibung verlief der Vorfall unblutig. Sein Auto wurde beschädigt und seine Mütze von einer Kugel getroffen, er jedoch blieb unverletzt. Dieses Ereignis scheint die Radikalisierung forciert zu haben, die ihren Höhepunkt im Massaker an gefangenen Partisanen und männlichen Zivilisten in San Polo bei Arezzo am 14. Juli 1944 fand. Die von der Militärstaatsanwaltschaft La Spezia gesammelten Akten zeigen Ewerts zentrale Rolle bei der Befehlserteilung. Er verfügte die Misshandlung der gefangenen Partisanen und Zivilisten, um sie zu Aussagen zu pressen. Ewert habe sich „in äußerst reizbarer Stimmung“ befunden und die Ankunft der Gefangenen entsprechend quittiert: „Runter mit den Schweinen, alles umlegen“. Auch der Erschießungsbefehl kam von ihm, wie mehrere Zeugen versicherten. Nach Rücksprache mit General Hauck, wurde die Exekution veranlasst und durchgeführt.
Auch an weiteren Orten im Einsatzgebiet von Ewerts Regiment um Arezzo wurden Mitte Juli 1944 Zivilisten getötet, beispielsweise bei einem Gehöft in Badicroce und in San Severo. In den Tagen des Massakers schrieb Ewert in sein Tagebuch: “sehr störende Partisanenaktionen, die aber erfolgreich bekämpft wurden“.
An der Westfront
Wolf Ewert verließ Italien im September 1944 mit dem Dienstgrad eines Oberst. In der letzten Phase des Kriegs wurde er an der Westfront eingesetzt, wo er im Dezember 1944 das Kommando der 716. Infanterie-Division übernahm. Im Januar 1945 wurde er zum Kommandeur der 338. Infanterie-Division ernannt. Am 1. März 1945 zum Generalmajor befördert, wurde er Mitte April von US-Truppen gefangen genommen.
In der Nachkriegszeit
Nachkriegszeit: Politik, Karriere und ergebnislosen Ermittlungen
In den ersten Monaten nach der deutschen Kapitulation wurde Ewert in einem Kriegsgefangenenlager bei Marburg interniert. 1946 war er in der Historical Division der US-Army tätig, wo er Berichte über die Operationen seiner Division in Frankreich und am Rhein sowie über die Taktik kleinerer Einheiten der Roten Armee verfasste. Im Sommer 1947 wurde er entlassen und ließ sich mit seiner Familie im nordhessischen Bad Nauheim nieder. In seinem Lebenslauf gab Ewert an, bis 1950 als Arbeiter beschäftigt gewesen zu sein. Danach sei er mehrere Jahre bei einer nicht näher präzisierten “amerikanischen Dienststelle” tätig gewesen und habe anschließend von 1956 bis zum Ruhestand im Jahr 1966 die Position des Werbeleiters der "VW-Werke" innegehabt.
In der Nachkriegszeit bewegte er sich im Umfeld rechter Parteien. Zwischen 1952 und 1956 war er Vorsitzender der Nationalen Partei Deutschlands, einer nordhessisichen Splitterpartei, nicht zu verwechseln mit der 1964 gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Ausgehend von einer neutralistischen und pazifistischen Position scharte die Nationale Partei Deutschlands einen kleinen politischen Kreis mit nationalkonservativen Tendenzen, vorwiegend protestantischer Provenienz, um sich. Die Partei war jedoch recht kurzlebig. Es kursierten Gerüchte, dass sie Gelder aus der Sowjetunion erhalte, was die ohnehin schon geringen Sympathien für die Gruppierung weiter reduzierte.
"Ich bin der Ansicht, dass der Wert eines Geständnisses, auch wenn es unter starken Mißhandlungen und großem Druck erlangt wurde, von dem eines freiwilligen Geständnisses nicht abweicht.“
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gießen wegen des Massakers von San Polo
1967 leitete die Staatsanwaltschaft Gießen Ermittlungen wegen des Massakers von San Polo gegen Wolf Ewert, Klaus Konrad und weitere Regimentsangehörige ein. Das Verfahren wurde 1972 ergebnislos eingestellt. Die Staatsanwaltschaft war der Auffassung, eine Mitschuld Ewerts an den Morden oder an der Behilfe zum Mord könne nicht nachgewiesen werden. Er hatte eingestanden, die Erschießung der Italiener angeordnet zu haben, dies habe er aber erst getan, nachdem das übergeordnete Kommando gemeldet hatte, dass es nicht in der Lage sei, die Gefangenen zu übernehmen. Dies ist möglicherweise eine Schutzbehauptung, denn die standrechtliche Erschießung von gefangenen Partisanen und verdächtigen Zivilpersonen im Frontgebiet lag im Sommer 1944 innerhalb seines eigenen Verantwortungsbereichs.
Ewert gab zudem an, an der Durchführung der Tötungen nicht beteiligt gewesen zu sein. Vielmehr habe er diese einem ihm nicht mehr bekannten Führer des Exekutionskommandos anvertraut. Als er im März 1969 verhört wurde, gab er bezüglich der Folterungen in den Kellern der Villa Mancini an: "Ich bin der Ansicht, dass der Wert eines Geständnisses, auch wenn es unter starken Mißhandlungen und großem Druck erlangt wurde, von dem eines freiwilligen Geständnisses nicht abweicht."
2021 wurde in Stralsund auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eine Gedenktafel für Wolf Ewert, die sich auf einem Friedhof befand, von der Stadtverwaltung entfernt. „Einem Kriegsverbrecher gebührt kein Gedenken“, sagte das grüne Bürgerschaftsmitglied Arnold von Bosse.
Ewerts Memoiren
Die Informationen zu Ewerts Leben bis 1947, die aus seinem Tagebuch sowie seinen 2012 durch seinen Neffen Malte publizierten Lebenserinnerungen hervorgehen, sind recht umfangreich. Sie erlauben eine genaue Rekonstruktion der verschiedenen Etappen seiner Ausbildung und seiner militärischen Karriere. Dagegen bleibt die Zeit zwischen den Nachkriegsjahren und seinem Tod 1994 recht undeutlich.
Ewerts Aufzeichnungen spiegeln eine vielschichtige und ambivalente Persönlichkeit: das freiwillige Verlassen der Familie im Alter von 11 Jahren für den Eintritt in die 500 Kilometer entfernte Kadettenanstalt; seine Wahrnehmung der Niederlage von 1918 und der darauffolgenden Unruhen in Deutschland als "Aufstand des Pöbels"; der Tod des Vaters kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs; die lange militärische Karriere in der Reichswehr und die intensive Erfahrung als Kommandeur an der Ostfront. Diese biografischen Elemente teilte Ewert mit vielen Offizieren seiner Generation. Die vor allem gegenüber den Partisanen gezeigte Härte ist ebenfalls als Teil eines allgemeinen Rahmens von Verhaltensweisen und Anschauungen zu sehen, die Ewert mit den ihm gleichgestellten Offizierskameraden verband. Gleichzeitig besaß er eine klassische Ausbildung: Er verfügte über Kenntnisse in Latein und Griechisch, aber auch in modernen Fremdsprachen, beispielsweise Russisch. Er hatte eine künstlerische Ader und malte in den Kampfpausen Landschaftsaquarelle oder Szenen aus dem Militärleben, die durchaus Talent erkennen lassen. In den Seiten seines Tagebuchs äußerte er keine besonderen anti-italienischen Ressentiments. Im Gegenteil finden sich dort Ausdrücke von Bewunderung für die mediterrane Welt und ihre Kultur. Bevor Ewert nach Italien aufbrach, besuchte er in Berlin eine Opernaufführung von Puccinis Madame Butterfly.
Quellen
Wolf Ewerts Tagebuch und seine Memoiren wurden 2012 von seinem Neffen veröffentlicht (s. Bibliografie). Hinweise auf die Ereignisse in San Polo auf S. 298f. Seine Personalakte aus der Militärdienstzeit wird im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg aufbewahrt (BArch, PERS 6/1221). Hinweise auf den Einsatz der Kampfgruppe Ewert im Rahmen der 305. Infanterie-Division in: BArch, RH 26-305/26, Befehle für das Herauslösen von unterstellten Einheiten, 11. Jan. - 8. Juli 1944. Über seine konkrete Rolle im Zusammenhang mit dem Massaker von San Polo geben die umfangreichen Unterlagen des Ermittlungsverfahrens der Militärstaatsanwaltschaft von La Spezia Auskunft, sie liegen im Archiv des Militärgerichts von Rom (PP n. 261/04 RNR, San Polo). Hier enthalten sind alle wichtigen Akten britischer, deutscher und italienischer Ermittlungsbehörden.
Die britischen Akten befinden sich außerdem in London, The National Archives Kew, War Office (WO), WO 204/11482; WO 310/109; WO 311/349 sowie WO 170/515. Die des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Gießen im Hauptstaatsarchiv Darmstadt (HStAD H 13 Giessen Nr. 4884/1-17). Die Überlieferung im Archiv der Zentralen Stelle Ludwigsburg (BArch, B 162/18194, Erschießung italienischer Zivilisten in San Polo / Provinz Arezzo (Italien) am 14.7.1944 durch Angehörige des Grenadierregimentes 274 der 94. Infanteriedivision 1967-1972) ist derzeit für die Benutzung gesperrt.
Auswahl der Bibliografie
Carlo Gentile, Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943-1945, Paderborn, Schöningh, 2012, S. 371-374.
Carlo Gentile, Le stragi nazifasciste in Toscana 1943-45. Vol. 4. Guida archivistica alla memoria. Gli archivi tedeschi, foreword by Enzo Collotti, Rome, Carocci, 2005, pp. 46, 99-102, 127, 135, 137-142.
Malte Ewert, Ein deutscher Offizier. Kriegserinnerungen 1940-1945 aus der Sicht des Bataillons-, Regiments- und Divisionskommandeurs Generalmajor Wolf Ewert, Meime, Education & Art Publ. Ewert, 2012.
Gerhard Schreiber, Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung, München, C.H. Beck, 1996, p. 177.
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