Pietransieri

Das Farbfoto zeigt ein sechseckiges, einer Kapelle ähnelndes Gebäude mit rosafarbenen Außenwänden sowie die dahin führenden Stufen aus der Froschperspektive. Das Gebäude ist von Nebelschwaden umgeben, die die Bäume im Hintergrund schemenhaft erscheinen lassen.
Gedenkstätte für die Toten von Pietransieri. © Udo Gümpel

21 November 1943 , Pietransieri, Teil der Gemeinde Roccaraso (L'Aquila, Abruzzo)

Im Oktober 1943 bereitete die 10. Armee Evakuierungspläne für einen Teil Mittelitaliens vor, damit keine Zivilisten im zukünftigen Frontgebiet verblieben. In einigen Fällen weigerte sich die Bevölkerung, ihre Häuser zu verlassen. Am 21. November 1943 erreichte eine Patrouille von sechs bis acht deutschen Soldaten aus Pietransieri das Gebiet von Limmari. Diejenigen Zivilisten, die den Evakuierungsbefehlen nicht gefolgt waren, waren dorthin gezogen. Bei den Soldaten handelte es sich um Fallschirmjäger des III. Bataillons des Fallschirmjäger-Regiments 1. Alle Menschen, die in den Bauernhöfen der Gegend entdeckt wurden, wurden dort eingeschlossen, mit Maschinengewehren erschossen und die Gebäude gesprengt. Es gab nur wenige Überlebende, darunter auch Kinder; die meisten von ihnen starben, weil niemand ihnen half. Ein kleines Mädchen überlebte das Massaker. 

Bis in die 1990er Jahre wurden keine gründlichen Ermittlungen durchgeführt.

Verantwortliche Einheit

III. Bataillon des Fallschirmjäger-Regiment 1

Täter

Major Karl-Heinz Becker

Opfer

125

Untersuchungen und Prozesse

1944-1947: Ermittlungen gegen Italiener wegen unterlassener Hilfeleistung und Diebstahl

1947: Prozess vor dem britischen Militärgericht in Mestre gegen Generalfeldmarschall Albert Kesselring

1995-2000: Ermittlungen der Militärstaatsanwaltschaft in Rom

2004-2013: Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen

2015-2017: Das Gericht in Sulmona erklärt die Bundesrepublik Deutschland für verantwortlich und verurteilt sie zu Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen der Opfer.

Streitkräfte
Wehrmacht
An einem bewaldeten Hang stehen die Ruinen des Bauernhofs der Familie Amico. Die Mauern sind fast vollständig mit Ranken bewachsen. Darunter lässt sich eine niedrige graue Steinmauer mit zwei Fensteröffnungen erahnen.
Ruinen des Bauernhofs der Familie Amico. © Udo Gümpel

Das Massaker

Die Bilder

Im November 1943 wurden zahlreiche Dörfer in den Abruzzen zwangsgeräumt und zerstört, da sie sich im Umfeld der zukünftigen Front befanden. Die italienische Zivilbevölkerung wurde oft in Sammellagern unter prekären Umständen untergebracht.

  • Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt Frauen und Kinder, die mit dem Rücken zur Kamera eine Landstraße entlang gehen. Ihre Winterkleidung und die matschige Straßenoberfläche lassen nass-kaltes Wetter vermuten. Viele der Frauen tragen Habseligkeiten in Körben auf dem Kopf.
    Beladen mit der wenigen Habe, die sie mitnehmen durften, verlassen Zivilisten ihre Häuser in den Abruzzen. © BArch, Bild 101I-310-0869-15 / Engel
  • Vom rechten Bildrand bis zur Mitte dieses Schwarz-Weiß-Fotos ist ein kleiner Lastwagen mit offener Ladefläche zu sehen. Aus dem Führerhäusschen schaut ein Mann, scheinbar ein deutscher Soldat mit Mütze. Auf der Ladefläche steht ein Mann neben einem Metallfass. Links neben im sitzt ein kleiner Junge, der sich am Geländer festhält. Vor der Ladefläche stehen einige Personen auf dem steinigen Boden: Zivilisten scheinen im Begriff zu sein, ihre Habe auf die Ladefläche zu heben. Im linken Bildrand steht ein weiterer Soldat mit Helm.
    In einem Dorf in den Abruzzen wird der Zivilbevölkerung die Benutzung von Militärlastwagen für den Transport ihrer Habseligkeiten gestattet. © BArch Bild_101I-575-1820-26 / Thönessen-Thönnessen
  • Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt den Moment der Zerstörung des Dorfes Roccaraso durch Sprengung. Das kleine, auf einem Hügel gebaute Dorf ist von einer großen Staubwolke umgeben. Im Hintergrund ist eine weitläufige Hügellandschaft und dahinter das Majella-Gebirge mit seinen schneebedeckten Bergen zu sehen.
    Die Zerstörung von Roccaraso im oberen Sangro-Tal gegen Ende November 1943. Im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel des Gebirgsmassivs Majella. © BArch Bild 101I-571-1701-07 / Slickers
  • Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt das Dorf Roccaraso im Moment der Sprengung aus einem anderen Blickwinkel. Die Staubwolke um das Dorf ist gut sichtbar.
    © BArch Bild 101I-571-1701-10 / Slickers
  • Im Vordergrund dieses Schwarz-Weiß-Fotos sind vier Soldaten zu sehen, alle mit dem Rücken zur Kamera. Zwei stehen am linken Bildrand. Am rechten Bildrand hat sich einer von ihnen halbliegend an den Berghang hinter ihm gelehnt. Ein weiterer kauert vor ihm auf dem Boden. Sie beobachten die Sprengung des Dorfes Lettopalena vor ihnen: Eine große Explosion schleudert Steine in die Luft und wirbelt Staub auf. Die Überreste der Siedlung können am rechten Bildrand ausgemacht werden. Im Hintergrund sind steile Berghänge zu erkennen.
    Die Zerstörung von Lettopalena (Chieti) durch Soldaten der 1. Fallschirmjäger-Division am 19. und 20. November 1943. Die Brücke über den Fluss Aventino wurde ebenfalls gesprengt. © BArch Bild 101I-571-1714-14A / Wahner
  • Ein Soldat steht mit dem Rücken zur Kamera und schaut über die Ruinen von Lettopalena, die links im Hintergrund sichtbar sind. Zu seiner linken haben sich drei weitere Soldaten zur Kamera gedreht, ohne jedoch direkt hineinzuschauen. Der ganz links Stehende ist teils verdeckt, vermutlich durch den Finger des Fotografen.
    Die Ruinen von Lettopalena (Chieti), rechts die zu diesem Zeitpunkt noch nicht zerstörte Kirche des heiligen Nikolaus von Bari. © BArch Bild 101I-571-1714-18A / Wahner
In Pietransieri wurden die ersten Räumungsbefehle Ende Oktober und Anfang November 1943 erteilt. Die Menschen wurden zunächst nach Sulmona transportiert und später Richtung Norden geschickt. Etwa 200 Personen widersetzten sich jedoch den Evakuierungsbefehlen und verteilten sich auf einige Bauernhöfe in der Gegend von Limmari.
  • Das schwarz-Weiß-Foto zeigt das Gebiet von Limmari, eine leicht hügelige Landschaft mit einzelnen Bäumen. Ein Teil des Hanges im Hintergrund des Fotos ist mit schwarzer Tinte eingekreist. Daneben wurde in Schreibschrift das Wort Limmari auf das Foto geschrieben.
    Das Gebiet von Limmari, 1948-49. © Carabinieri-Archiv | Deutsch-Italienische Historikerkommission
  • Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt den Bauernhof der Familie Amico nach dem Krieg. Das zweistöckige Gebäude steht in einer leicht hügeligen Landschaft mit einzelnen Bäumen. An seiner linken Seite befindet sich ein einstöckiger Anbau.
    Auf dem D'Amico-Hof wurden am 21. November 1943 die meisten Menschen getötet. Hier gab es 60 Opfer. © Carabinieri-Archiv | Deutsch-Italienische Historikerkommission
  • Zwei Frauen sind auf dem Schwarz-Weiß-Foto zu sehen. Sie tragen schlichte schwarze Hemdkleider, deren Saum bis unter die Knie reicht, und flache staubige Schuhe. Beide schauen direkt in die Kamera. Die vorne stehende junge Frau ist Virginia Macerelli. Sie überlebte das Massaker als Kind. Die hinter ihr stehende Frau ist ihre Großmutter Laura Calabrese, die sie nach dem Massaker großzog. Sie trägt einen schwarzen Schleier, unter dem nur der Haaransatz sichtbar ist. Die Namen der beiden Frauen sind neben ihnen in schwarzer Tinte auf das Foto geschrieben. Am oberen Bildrand steht auf Italienisch "Die Hinterbliebenen von Limmari".
    Die junge Virginia Macerelli, die das Massaker überlebte, und ihre Großmutter Laura Calabrese, die sie danach zu sich nahm, 1948-49. © Carabinieri-Archiv | Deutsch-Italienische Historikerkommission
  • Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt eine Frontalansicht des Bauernhauses der Familie Amico. Hinter dem zweistöckigen Haus erhebt sich ein Hügel. Um das Gebäude stehen einzelne Bäume.
    Auf dem D'Amico-Hof wurden am 21. November 1943 die meisten Menschen getötet. Hier gab es 60 Opfer. © Carabinieri-Archiv | Deutsch-Italienische Historikerkommission
  • Das schwarz-Weiß-Foto zeigt ein kleines Waldstück in einer leicht hügeligen Landschaft. Der Name “Contrada Anteleschi” wurde in Schreibschrift auf das Foto geschrieben.
    Contrada Antelesche (oder Anito delle Lesche), 1948-49. Am 16. November 1943 wurden hier sechs Männer getötet. © Carabinieri-Archiv | Deutsch-Italienische Historikerkommission

Ermittlungen und Prozesse

Die Beweggründe für das Massaker in Pietransieri blieben lange Zeit unbekannt. Es war die Rede von einer Vergeltungsmaßnahme der Deutschen wegen der Ermordung zweier Soldaten durch Partisanen. Dies ist in den Wehrmachtsunterlagen nicht dokumentiert.

Erinnerung

  • Das Foto zeigt den Hof der Familie Aloisio heute aus der Froschperspektive. Der rechte Teil des dreistöckigen hellbraunen Gebäudes ist teilweise eingestürzt. Links sind im obersten stockwerk zwei Türen und die Vorsprünge von Balkonen zu erkennen, darunter einige Fenster. Ranken wachsen an dem von Nebelschwaden umgebenen Gebäude.
    Der verfallene Aloisio-Hof. © Udo Gümpel
  • Im linken Bildrand sind im Vordergrund ein schwarzer Eisenzaun und ein Baum zu sehen. Dahinter steht das inzwischen verfallene Haus der Familie Battista, ein längliches Steingebäude mit zwei Stockwerken, an dem eine Gedenktafel angebracht wurde.
    Der zerstörte Bauernhof der Familie Di Battista. © Udo Gümpel
  • Ein Gedenkstein am Bauernhaus der Familie Battista, der an das Massaker erinnert. Über der italienischen Inschrift sind die italienische Flagge und ein Kreuz zu sehen. Der Stein ist grau und von einem schwarzen Eisenzaun umgeben. Im Hintergrund lassen sich einzelne Bäume erkennen.
    © Udo Gümpel
  • Der Gedenkstein bei Anito delle Lesche: Ein heller, weitestgehend unbehauener Stein mit der italienischen Flagge und einem Kreuz zuoberst. Darunter die Inschrift, die den dort getöteten Männern gewidmet ist, und eine goldene Blume. Links und rechts neben dem Stein stehen zwei kleinere Gedenktafeln mit den Namen der Getöteten. Vor dem großen Stein steht eine leere weiße Vase. Das Foto wurde im Herbst oder Winter aufgenommen: Es ist neblig und der Boden ist mit roten und braunen Blättern bedeckt.
    © Udo Gümpel
  • Ein weiterer unbehauener Gedenkstein im Gedenken an die Opfer, ebenfalls mit der italienischen Flagge und einem Kreuz zuoberst.
    © Udo Gümpel
  • Der Gedenkstein bei La Croce für die dortigen Opfer: Auch hier befindet sich oberhalb der Inschrift die italienische Flagge und ein Kreuz. Neben dem Stein steht eine kleinere, ebenfalls den Opfern gewidmete Tafel.
    © Udo Gümpel
  • Detailaufnahme des dunkelgrauen Gedenksteins vor dem Haus der Familie Amico: Auch hier die italienische Flagge und ein Kreuz oberhalb der Inschrift.
    © Udo Gümpel
  • Das Farbfoto zeigt ein sechseckiges, einer Kapelle ähnelndes Gebäude mit rosafarbenen Außenwänden sowie die dahin führenden Stufen aus der Froschperspektive. Das Gebäude ist von Nebelschwaden umgeben, die die Bäume im Hintergrund schemenhaft erscheinen lassen.
    Gedenkstätte für die Toten von Pietransieri. © Udo Gümpel
  • Eingang des Mausoleums für die Opfer des Massakers. Über der Tür steht im Rundbogen die Inschrift: Für die Märtyrer von Limmari.
    © Udo Gümpel

Quellen

Das Massaker hat in den deutschen Unterlagen kaum Spuren hinterlassen. Die Anwesenheit von Soldaten des Fallschirmjäger-Regiments 1 in der Gegend von Pietransieri an den Tagen des Massakers wird durch das Kriegstagebuch der 10. Armee und in den Karten der militärischen Lage an der Front bestätigt. In der Abteilung Personenbezogene Auskünfte des Bundesarchivs in Berlin (Bundesarchiv-Abteilung PA) sind die Verluste des von Karl- Heinz Becker befehligten Bataillons verzeichnet. Diese Quelle bestätigt die Anwesenheit seiner Männer in Pietransieri an den Tagen des Massakers.

Auswahl der Bibliografie

Tommaso Baris, Tra due fuochi. Esperienza e memoria della guerra lungo la linea Gustav, Roma, Laterza, 2003.

Carlo Gentile, Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943-1945, Paderborn, Ferdinand Schöningh, 2012, S. 110ff. 

Paolo Paoletti, L’eccidio dei Limmari di Pietransieri (Roccaraso). Un'operazione di terrorismo. Analisi comparata delle fonti scritte ed orali italiane e straniere, Roccaraso, Comune di Roccaraso, 1999.

Lando Sciuba, La passione secondo Pietransieri, 12-21 Novembre 1943, L’Aquila, Edizione Libreria Colacchi, 1997.

Autor*innenschaft und Übersetzung

Autor: Carlo Gentile

Übersetzt aus dem Italienischen durch: Antonia Frinken

© Projekt "Die Massaker im besetzten Italien (1943–45) in der Erinnerung der Täter“

2023

Text: CC BY NC SA 4.0

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