Caiazzo

Eine farbige Luftaufnahme des Gehöft der Familie Albanese: Ein zweistöckiges Steingebäude mit hellrotem Dach. Eine Treppe führt außen in den ersten Stock. Das Haus ist verfallen und von Efeu bewachsen. Im Dach sind mehrere Löcher sichtbar.
Der Albanese-Hof, wo 15 Menschen von deutschen Soldaten erschossen wurden. Bei dem Massaker von Caiazzo kamen insgesamt 22 Menschen ums Leben. © Udo Gümpel

13 Oktober 1943 , San Giovanni e Paolo, Ortsteil der Gemeinde Caiazzo (Provinz Caserta, Kampanien)

Während eines Angriffs der amerikanischen Truppen am Abend des 13. Oktober 1943 glaubte Leutnant Wolfgang Lehnigk-Emden, Offizier der 3. Panzer-Grenadier-Division, von einem Gehöft her Leuchtsignale zu erkennen. Zusammen mit zwei Feldwebeln begab er sich dorthin. Er ließ vier Männer und  einen 14-jährigen Jungen festnehmen und zum Gefechtsstand der Kompanie bringen. Zwei Frauen folgten der Gruppe. Nach der Ankunft wurden alle erschossen. 

Kurz darauf kehrte Lehnigk-Emden mit den beiden Feldwebeln zum Bauernhaus zurück. Sie warfen Handgranaten in das Gebäude und schossen auf die Überlebenden. Dabei wurden sechs Frauen sowie neun Kinder und Jugendliche getötet. Noch im Laufe der Nacht verließen die deutschen Truppen die Gegend und setzten sich nach Norden ab. 

Am darauffolgenden Tag drangen die amerikanischen Truppen nach Caiazzo vor und entdeckten das Blutbad.

Verantwortliche Einheit

Grenadier-Regiment 29 (mot.)

Kommando

3. Panzer-Grenadier-Division

Täter

Leutnant Wolfgang Lehnigk-Emden

Opfer

22

Untersuchungen und Prozesse

1943: Erste Meldungen über das Massaker durch den Psychological Warfare Branch und erste amerikanische Untersuchungen.

1969-1970: Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München enden mit der Einstellung des Verfahrens. 

Januar 1994: Urteil des Landgerichts Koblenz, Wolfgang Lehnigk-Emden wird für schuldig befunden, die Strafe wird jedoch ausgesetzt, weil die Tat nach deutschem Recht verjährt ist. 

Oktober 1994: das Schwurgericht von Santa Maria Capua Vetere verurteilt Wolfgang Lehnigk-Emden und Kurt Schuster in Abwesenheit zu lebenslanger Haft.

Streitkräfte
Wehrmacht
Diese Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt eine staubige Landstraße in einer hügeligen Landschaft. Mehrere Autos und Motorräder fahren auf beiden Seiten der Straße im Rechtsverkehr in entgegengesetzte Richtungen.
Durchmarsch der deutschen Truppen im Volturno-Gebiet. © BArch, Bild 101I-305-0654-15 / Fot. Funke

Das Massaker

Die amerikanischen Truppen verhörten die Soldaten, die in das Massaker involviert waren. Dabei zeigten sich die Spannungen innerhalb der deutschen Einheit, die das Verhalten der einzelnen Soldaten bestimmten. Der Soldat Wilhelm May, ein direkter Augenzeuge, gab eine detaillierte Erklärung zum Verlauf des Massakers ab.
  • Der Volturno, ein breiter, verschlungener Fluss, fließt durch die Mitte dieses Schwarz-Weiß-Fotos, umgeben von einer hügeligen Landschaft. Über den Fluss führt eine Brücke, deren Mitte zerstört wurde und in den Fluss gefallen ist.
    Bei den Kämpfen zerstörte Brücke über den Volturno. © BArch, Bild 101I-305-0658-02 / Richard Opitz
  • Im Vordergrund des Schwarz-Weiß-Fotos stehen zwei Soldaten jeweils links und rechts. Sie tragen ihre Uniformen und Mützen und kontrollieren die Papiere mehrerer Zivilisten, die hinter ihnen stehen. Im Hintergrund Haufen von Heu oder Stroh sowie ein niedriges Gebäude.
    Deutsche Soldaten überprüfen die Dokumente von Zivilisten. © BArch, Bild 101I-305-0674-04 / Fot. Schmidt
  • Eine Landkarte zeigt Flüsse, Straße und Ortschaften um Caiazzo. Die Stellungen des Grenadier-Regiments 29 zum Zeitpunkt des Massakers sind händisch eingezeichnet.
    Stellungen der Bataillone des Grenadier-Regiments 29 (mot.) im Raum Caiazzo im Zeitraum des Massakers. © BArch, RH 20-10/67K
Die Nachricht von den Morden und der Verantwortung von Leutnant Wolfgang Lehnigk-Emden verbreitete sich in den Tagen nach dem Massaker unter den amerikanischen Soldaten. Der Kriegsberichterstatter William H. Stoneman, der die Truppen nach Caiazzo begleitete, interessierte sich als einer der Ersten für den Vorfall und veröffentlichte am 18. Oktober 1943 einen Artikel in der Chicago Daily News.

Ermittlungen und Prozesse

Da die Mechanismen zur Verjährung von Straftaten im Kontext des Nationalsozialismus recht kompliziert waren, gab das Gericht in Koblenz Gutachten bei drei Historikern in Auftrag.
Protokoll des Verhörs von Wolfgang Lehnigk-Emden in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, angefertigt auf einer Schreibmaschine. Lehnigk-Emden erklärt, dass er sich am Abend des Massakers von Caiazzo auf dem Massella-Hof aufgehalten hat, wo das Hauptquartier seiner Einheit war und sich auch sein Vorgesetzter Leutnant Raschke befand. Weiterhin habe er vom Albanese-Hof Lichtsignale gesehen und diese seinem Vorgesetzten gemeldet. Daraufhin habe er den Befehl erhalten, das Gehöft aufzusuchen und die Personen dort zum Gefechtsstand zu bringen.
Protokoll des Verhörs von Lehnigk-Emden durch die Amerikaner. © Archiv der Militärstaatsanwaltschaft Rom
Die Erschießung der Frauen und Kinder wurde durch das Gericht in Koblenz als Mord eingestuft, der jedoch seit 1968 als verjährt galt.
  • Eine Nahaufnahme des Albanese-Hofs in Farbe: Das verfallene Gebäude steht auf einer grünen Wiese. Dahinter ist der blaue, wolkenlose Himmel zu sehen.
    Der Albanese-Bauernhof, auf dem 15 Menschen von deutschen Soldaten erschossen wurden. © Udo Gümpel
  • Farbige Detailaufnahme der Mauer des Albanese-Hofs: Im dunklen Stein sind Einschusslöcher zu erkennen.
    Einschusslöcher in der Mauer des Albanese-Hofs. © Udo Gümpel
  • Im Vordergrund dieser Landschaftsaufnahme in Farbe ist das inzwischen verfallene Gehöft der Familie Masella zu sehen: Ein zweistöckiges Steingebäude mit hellrotem Dach, in dem Löcher erkennbar sind. Dahinter stehen weitere ähnliche Häuser in einer grünen Hügellandschaft mit kleinen Waldstücken.
    Das Gehöft Massella, Hauptquartier der 3. Kompanie des Grenadier-Regiments 29 (mot.). Im Hintergrund das Gehöft Albanese. © Udo Gümpel

Erinnerung

Quellen

Die alliierten Untersuchungen samt der Mitschriften der Verhöre der deutschen Soldaten sind in Washington einsehbar (US NARA, Record Group 153: Records of the Office of the Judge Advocate General, War Crimes Branch, Entry 143, Box 544-545; US NARA, Record Group 407: Records of the Adjutant General’s Office, 105- 2.13, Fifth Army, G-2 Reports, Interrogation Reports 1943-1945, Box: 2216) sowie in London (The National Archives, Kew, WO 204 War Office: Allied Forces, Mediterranean Theatre: Military Headquarters Papers, WO 204/2235B, Massacre at Caiazzo, Italy). 

Die Unterlagen der Recherchen des Lokalhistorikers Giuseppe Capobianco befinden sich im Staatsarchiv Caserta (fondo Capobianco, busta 286, fascicolo 2616, Il Massacro di Caiazzo. Appunti manoscritti). Die Untersuchungen der deutschen Staatsanwaltschaft zu Caiazzo werden hingegen in Koblenz aufbewahrt (Landeshauptarchiv Koblenz, 101 Js 35779/90 NSG jug) sowie bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg (Aktenzeichen: V 302 AR 284/92).

Im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg finden sich nur wenige Dokumente, im Wesentlichen Berichte über Kampfhandlungen sowie Befehle des Divisionsstabs: BArch, RH 26-3/12: Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 4 der 3. Panzer-Grenadier-Division; RH 26-3/13K, mit Kartenmaterial zu den Kämpfen um Caiazzo.

Auswahl der Bibliografie

Hans Bader, Caiazzo, in: Betrifft JUSTIZ, 43/1995, Michelstadt, Neuthor, S. 121-125.

Giovanni Cerchia, La Seconda guerra mondiale nel Mezzogiorno. Resistenze, stragi e memoria, Mailand, Luni editrice, 2019, S. 493-503.

Kerstin Freudiger, Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Tübingen, Mohr Siebeck, 2002, S. 130-138.

Lutz Klinkhammer, Stragi naziste in Italia. La guerra contro i civili (1943-1944), 2. erweiterte Auflage, Rom, Donzelli, 2006, S. 43-53.

Gerhard Schreiber, Deutsche Kriegsverbrecher in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung, München, C.H. Beck, 1996, S. 93, 138, 141-145, 148f.

Autor*innenschaft und Übersetzung

Autor: Carlo Gentile

Übersetzt aus dem Italienischen durch: Antonia Frinken

© Projekt "Die Massaker im besetzten Italien (1943–45) in der Erinnerung der Täter“

2023

Text: CC BY NC SA 4.0

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