San Polo

Die Villa Gigliosi steht zwischen einzelnen Bäumen auf einem Feld. Um eine  zentralen Hof gruppieren sich mehrere ein- und zweistöckige Gebäude.
Im Garten der Villa Gigliosi wurden 48 Personen erschossen. © Udo Gümpel

14 Juli 1944 , San Polo, Ortsteil der Gemeinde Arezzo (Toskana)

Beim Verhör eines gefangengenommenen Deserteurs erfuhren die Offiziere des Grenadier-Regiments 274 von einem Partisanenversteck bei Pietramala, wo weitere deutsche Soldaten und russische Hilfswillige gefangen gehalten wurden. Beim Überfall auf den Unterschlupf und der anschließenden Mitnahme der Partisanen und Zivilpersonen starben 17 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder. 48 Männer wurden anschließend von der Gruppe getrennt und in das Hauptquartier des Regiments in der Villa Mancini gebracht, wo sie gefoltert wurden. Danach wurden die Gefangenen im Garten der Villa Gigliosi erschossen und verscharrt. Das Kommando des Regiments verließ noch am Abend die Villa. Am nächsten Tag zogen alle deutschen Truppen aus San Polo ab. 

Die ersten britischen Truppen trafen am Abend des 16. Juli 1944 ein und begannen sofort mit der Exhumierung der verscharrten Leichen.

Verantwortliche Einheit

Grenadier-Regiment 274

Kommando

305. Infanterie Division

Täter

Regimentskommandeur Oberstleutnant Wolf Ewert, Ordonnanzoffizier Klaus Konrad und weitere deutsche Soldaten

Opfer

65

Untersuchungen und Prozesse

September 1944: Untersuchung durch den Special Investigation Branch (SIB) 78

1967-1972: Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gießen gegen Wolf Ewert, Klaus Konrad und andere Regimentsangehörige. 

2003-2007: Verfahren gegen Klaus Konrad und Herbert Hantschk durch die Staatsanwaltschaft und das Militärgericht La Spezia. Klaus Konrad starb vor dem Urteil 2006; Herbert Hantschk wurde 2007 freigesprochen, weil er die Tat nicht begangen hatte.

Streitkräfte
Wehrmacht
Die Inschrift des Gedenksteins für die Opfer des Massakers von Pietramala.
Gedenkstein für die Opfer von Pietramala. © Udo Gümpel

Das Massaker

  • Auf einem bewaldeten Hang steht das verfallene Fundament einer alten Mühle aus hellbraunem Stein.
    Molino dei Falchi. © Udo Gümpel
  • Inmitten eines dichten Waldes steht ein verfallenes Gebäude aus hellbraunem Stein. Im hellroten Dach sind Löcher zu sehen.
    Ruine eines Gebäudes in Pietramala. © Udo Gümpel
  • Eine weitere Aufnahme der Villa Gigliosi: Im Vordergrund die kleine Kapelle und mehrere niedrige Gebäude, dahinter das zweistöckige Wohnhaus.
    Villa Gigliosi, der Ort des Massakers. © Udo Gümpel
  • Im Vordergrund des Fotos steht die Villa Mancini, ein mehrstöckiges beiges Wohnhaus mit hellrotem Dach und einer großen Terrasse auf der Höhe des ersten Stocks. Im Hintergrund stehen weitere kleinere Häuser entlang zweier Straßen. Im unteren Bildrand ist ein Sportplatz zu sehen.
    In der Villa Mancini wandten die Deutschen Gewalt bei Verhören der Gefangenen an. © Udo Gümpel
  • In der unteren linken Ecke des Fotos ist die Villa Gigliosi zu sehen, in der oberen rechten Ecke die Villa Mancini. Dazwischen erstrecken sich flache Weinanbauflächen.
    Die Villa Gigliosi. Im Hintergrund befindet sich die Villa Mancini. © Udo Gümpel
  • Ein älterer Mann in weißem Hemd und dunkelblauer Weste steht im Garten der Villa Gigliosi mit einem Blatt Papier in der Hand, das er aufmerksam betrachtet. Hinter ihm die Hauswand auf der linken und ein Baum auf der rechten Seite.
    Ein Zeuge erinnert sich an das Massakers und die Exhumierung der Leichen. © rbb Red. Kontraste
  • Eine Nahaufnahme des Fotos, das der ältere Mann in den Händen hält: Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt Holzwagen, auf denen die Leichen der Erschossenen liegen.
    Die Exhumierung der Leichname. © rbb Red. Kontraste
Der Special Investigation Branch 78 führte gründliche Untersuchungen durch und sammelte Beweise und Zeugenaussagen über den Vorfall. Am 12. September 1944 besuchte Sergeant Harper die Villa Mancini, wo er in den Kellern die Gummischläuche fand, mit denen die Gefangenen während der Verhöre massiv geschlagen worden waren.
Die folgenden Inhalte zeigen Szenen massiver psychischer und physischer Gewaltanwendung. Bitte bedenken Sie dies, bevor Sie das Bild- / Videomaterial betrachten.
  • Exhumierung von Leichen. © IWM NA 16998 / Sgt. Best
  • Dorfbewohner identifizieren die Leichen des Massakers. © IWM NA 17004 / Sgt. Best
  • Die Leichen werden in Begleitung des Erzpriesters, Don Angelo Lazzeri, zum Friedhof gebracht. © IWM NA 16997 / Sgt. Best

Ermittlungen und Prozesse

Ewert übernahm die Verantwortung für eine Hinrichtung, die von den deutschen Ermittlern unter Berufung auf das Kriegsrecht und die nationalsozialistischen Rechtsvorschriften ohne Zögern als "legal" eingestuft wurde. Er lehnte jedoch die Verantwortung für die "Gewaltexzesse" ab, die angeblich ohne sein Wissen stattgefunden haben sollen.
Klaus Konrad, ein bekannter schleswig-holsteinischer SPD-Politiker, gab im Interview zu, Zeuge der Folterungen gewesen zu sein und niemals Reue für diese Ereignisse empfunden zu haben, bis er erfuhr, dass die italienische Justiz ein Verfahren gegen ihn eröffnet hatte.
Für eine weitere Dokumentation, die ebenfalls im deutschen Magazin Kontraste ausgestrahlt wurde, interviewten René Althammer und Udo Gümpel 2004 Klaus Konrad. Dieses Farbfoto entstand während der Dreharbeiten und zeigt Konrad in seiner Privatwohnung während des Interviews. Zum Massaker von San Polo sagte er damals: "Ich fand die ganze Angelegenheit denkbar unglücklich. Denn fünfzig oder sechzig Leute zu erschießen ist eine Angelegenheit, die jeden berührt. Nur, da ja also feststand, dass sich dort zugegebenermaßen Partisanen befunden haben."
”Ich fand die ganze Angelegenheit denkbar unglücklich. Denn fünfzig oder sechzig Leute zu erschießen ist eine Angelegenheit, die jeden berührt. Nur, da ja also feststand, dass sich dort zugegebenermaßen Partisanen befunden haben.” Klaus Konrad im Interview mit Udo Gümpel und René Althammer in seinem Haus in Scharbeutz im Herbst 2004. © rbb Red. Kontraste

Erinnerung

  • In einem gemauerten Erker steht ein weißer Gedenkstein mit einem Porträt von Jesus auf der linken Seite und einer Inschrift rechts daneben. Unterhalb des Gedenksteins steht eine Tafel mit den Namen der Ermordeten. Blumen wurden am Fuß des Gedenksteins abgestellt.
    Der Gedenkstein in der Villa Gigliosi trägt die Namen der Opfer. © Udo Gümpel
  • Eine Nahaufnahme der Steintafel mit den Namen der Opfer.
    Nahaufnahme der Gedenktafel. © Udo Gümpel
  • Eine Nahaufnahme einer verwitterten Steintafel am Denkmal in Pietramala. .
    Detailansicht der Gedenktafel. © Udo Gümpel
  • Ein weißer Gedenkstein steht beim verfallenen Fundament der Molino dei Falchi an einem Waldweg. Auf dem gerundeten Stein ist ein Kreuz zu sehen.
    Gedenkstein zur Erinnerung an die Opfer in der Nähe der Molino dei Falchi. © Udo Gümpel
  • Detailaufnahme der Inschrift auf dem weißen Gedenkstein bei Molino dei Falchi. Zwei Reihen verrosteten Stacheldrahts ragen ins Bild.
    Inschrift auf dem Gedenkstein. © Udo Gümpel

Quellen

Zum Massaker von San Polo gibt es eine Vielzahl von Dokumenten mit unterschiedlichen Entstehungsdaten und Autoren. Die deutsche Dokumentation ist am spärlichsten. Am Tag des Massakers meldete der Oberbefehlshaber Südwest, dass "in der Gegend nordwestlich [sic] von Arezzo 47 Banditen erschossen und 12 deutsche Soldaten freigelassen [wurden]" (BArch, RH 2/665). Auch im Bericht der IC/AO-Abteilung der 10. Deutschen Armee für den Monat Juli 1944 wird ausführlicher über die vom Regiment durchgeführte Aktion berichtet (BArch, RH 20-10/195). Unter den von deutschen Militärbehörden erstellten Dokumenten ist auch die Akte des Militärgerichts, das die Desertion von Heinrich Krüger untersuchte, von Interesse (BArch, Pers 15/141309). Diese ermöglichen es, das Massaker von San Polo aus einer bisher unbekannten Perspektive zu beleuchten, da es direkte Zeugenaussagen von Krüger selbst und einigen der deutschen Soldaten gibt, die von den Partisanen gefangen gehalten und während der Operation in Molino dei Falchi befreit wurden.

Das Material aus den britischen Archiven ist umfangreicher und präziser. Die Akten der ersten Untersuchung werden in den National Archives in Kew bei London aufbewahrt (War Office (WO) WO 310/109, San Polo, Italien: Tötung von Zivilisten durch deutsche Truppen, WO 310/123, Akte deutscher Generäle: Sammlung von Informationen über Hauptkriegsverbrecher, siehe auch WO 204/11482, WO 311/349, WO 170/515).

Die Mitte der 1960er Jahre im Rahmen der Ermittlungen zur Klärung der Verantwortung für das Massaker durchgeführten Untersuchungen sowie das Urteil der Staatsanwaltschaft Gießen werden im Staatsarchiv in Darmstadt aufbewahrt (HStAD H 13 Gießen Nr. 4884/1-17).

Die Akten der jüngsten Untersuchungen des Militärgerichts von La Spezia werden schließlich in Rom im Archiv der Militärischen Generalstaatsanwaltschaft aufbewahrt.

Werke zur Dokumentation der Massaker in der Toskana: Roger Absalom, Paola Carucci, Arianna Franceschini, Jan Lambertz, Franco Nudi, Simone Slaviero (Hrsg.), Le stragi nazifasciste in Toscana 1943-45. 2. Archivführer. Die italienischen und alliierten Archive, Rom, Carocci, 2004, beiliegende CD, Carlo Gentile (Hrsg.), Le stragi nazifasciste in Toscana 1943-45. 4. Archivführer zur Erinnerungskultur. Die deutschen Archive, Vorwort von Enzo Collotti, Rom, Carocci, 2005, S. 99-102, 137-142.

Bildmaterial

Im Imperial War Museum (IWM) in London werden Fotografien aufbewahrt, die von Soldaten der britischen Eighth Army während der Ermittlungs- und Exhumierungsphase der Leichen von San Polo aufgenommen wurden (Eighth Army, German Atrocities in San Polo, Sgt. Best: NA

16991-NA 16992- NA 16994-NA 16995-NA 16996-NA 16997-NA 16998-NA 16999- NA 17000 NA 17001-NA 17001-NA 17002-NA 17003-NA 17004).

Auswahl der Bibliografie 

Gianluca Fulvetti, Uccidere i civili. Le stragi naziste in Toscana (1943-1945), Rom, Carocci, 2009, S. 214-218. 

Carlo Gentile, Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943-1945, Paderborn, Ferdinand Schöningh, 2012, S. 305, 354f., 371-374.

Carlo Gentile (Hrsg.), Le stragi nazifasciste in Toscana 1943-45. 4. Archivführer zur Erinnerungskultur. Die deutschen Archive, Vorwort von Enzo Collotti, Rom, Carocci, 2005, S. 99-102, 137-142.

Ivan Tognarini (Hrsg.), La guerra di liberazione in provincia di Arezzo, 1943/1944. Immagini e documenti, Arezzo, Amministrazione provinciale, 1988.

Ivan Tognarini (Hrsg.), Guerra di sterminio e Resistenza. La provincia di Arezzo 1943-1944, Neaple, Edizioni scientifiche italiane, 1990.

Videos

Interview von Udo Gümpel und René Althammer mit Klaus Konrad in seinem Haus in Scharbeutz (Lübeck), Oktober 2004.

Imperial War Museum (IWM), London: A70 514-84

Autor*innenschaft und Übersetzung

Autor: Carlo Gentile

Übersetzt aus dem Italienischen durch: Antonia Frinken

© Projekt "Die Massaker im besetzten Italien (1943–45) in der Erinnerung der Täter“

2023

Text: CC BY NC SA 4.0

Seitenanfang