Friedrich Engel als junger Mann auf einem Schwarz-Weiß-Foto. Seine Haare sind rechts gescheitelt und er schaut direkt in die Kamera. Unten rechts im Bild ist eine Ausstanzung erkennbar, wie bei alten Passfotos.
© BArch, R 9361-III/39025

Friedrich Wilhelm Konrad Siegfried Engel

* " 3 Januar 1909" – Warnau an der Havel (Sachsen-Anhalt)
† " 4 Februar 2006" – Hamburg

Siegfried Engel war ab Januar 1944 maßgeblich an Erschießungen und Razzien sowie an Deportationen von Juden in Oberitalien beteiligt. Als Leiter des Außenkommandos der Sicherheitspolizei und des SD war er in Genua tätig. 

In Deutschland wurde Engel erst 2002 wegen seiner Rolle im Massaker am Turchino-Pass verurteilt. Für seine weiteren Verbrechen wurde er weder in Italien noch in Deutschland zur Rechenschaft gezogen. Seine Vita und sein Aufstieg in den Institutionen des NS-Staats sowie die schleppende Verfolgung seiner Straftaten sind geradezu ein Musterbeispiel für den Lebensweg führender NS-Täter.

Engel hatte einen akademischen Hintergrund und wurde bereits in den frühen 1930er Jahren Mitglied von NSDAP und SA. 1934 trat er in den Sicherheitsdienst (SD) ein. Ab dem Folgejahr war er im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in die Ausbildung der Kader von Sicherheitspolizei und SD eingebunden. 

Nach dem Krieg wurde Engel verhaftet, konnte aber 1946 fliehen und lebte bis 1954 unter falschem Namen in Hamburg. Obwohl er bis in die 1980er Jahre in mehreren Strafverfahren angehört und auch beschuldigt wurde, kam es erst in den 1990er Jahren in Italien und 2002 in Deutschland zu Verurteilungen. Inhaftiert wurde er nie. Nach dem Krieg bevorzugte er den Rufnamen Friedrich.  

Formation
Sicherheitsdienst der SS (SD)
Eintritt in die NSDAP
Mitgliedsnr. 1.305.576 (1.10.1932)
Streitkraft
SD
Einheit
Außenkommando der Sicherheitspolizei und des SD Genua
Dienstjahre
1936 – 1945
SS-Obersturmbannführer
Feldzüge und Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg
Norwegen 1940
Besatzung Italiens 1944-1945
Bestätigte Massaker

Benedicta (Alessandria), 6.-11. April 1944

Turchino-Pass (Genua), 19. Mai 1944

Portofino (Genua), 2. oder 3. Dezember 1944

Cravasco (Genua), 23. März 1945

 

Nachkriegszeit

Er lebte in Hamburg und arbeitete als Prokurist einer Importfirma.

1960er bis 80er: mehrfach in Ermittlungsverfahren wegen NS-Verbrechen als Zeuge gehört

1969: Verfahren wegen Kriegsverbrechen in Italien, eingestellt

1999: in Turin zu lebenslanger Haft verurteilt

2002: Prozess in Hamburg, Verurteilung zu siebenjähriger Haftstrafe in Berufungsverfahren aufgehoben

 

Ausbildung und Kriegserfahrung

Als nationalsozialistischer Intellektueller war er verantwortlich für die Indoktrinierung im RSHA. Er hatte großen Einfluss auf die Ausbildung der Sicherheitspolizei- und SD-Männer, die im Osten die Einsatzgruppen stellen sollten. [...] Seine Vision der deutschen Geschichte der Neuzeit basierte auf der Vorstellung eines langen Ringens einer bedrohten “nordischen Herrscherrasse” um die Befreiung von romanischer Herrschaft und katholischem Universalismus.

 “Heute, 1942, sind wir nun in das letzte Stadium dieses dritten Dreißigjährigen Krieges eingetreten. Der neue Frieden, der den dritten Dreißigjährigen Krieg und damit den Kampf von drei Jahrhunderten um die deutsche Einheit siegreich abschließen wird, bringt damit zugleich auch die endgültige Überwindung des Westfälischen Friedens von 1648, und diesmal - das wissen wir alle - wird es keine halben Entscheidungen geben.”

Friedrich Engel

Engels Kommando war an zahlreichen Erschießungen von Partisanen und Antifaschisten an mehreren Orten des besetzten Liguriens beteiligt. Die bekanntesten sind die Massaker am Turchino-Pass, in der Benedicta-Kapelle auf dem Monte Tobbio, in Portofino und in Cravasco. 

Beteiligung an Massakern an Zivilisten

Ein großes, freistehendes Gebäude an einer breiten Straße ist auf dem Schwarz-Weiß-Foto zu sehen. Inklusive des Erdgeschosses hat es sieben Stockwerke. Der Haupteingang befindet sich mittig, leicht erhöht im ersten Stock und ist über Treppen links und rechts zu erreichen. Der siebte Stock ist ein von einer Terasse umgebener Aufbau. Links befindet sich auf der Höhe der Erdgeschosses und ersten Stocks ein halbrunder Anbau. Das Dach ist flach.
Sitz der Sicherheitspolizei und des SD in Genua

Die Nachkriegszeit

Die deutsche Öffentlichkeit wurde auf Engel und das in Italien gegen ihn gesprochene Urteil erst durch die bundesweite Ausstrahlung des Magazins Kontraste am 12. April 2001 aufmerksam. Die Journalisten René Althammer und Udo Gümpel hatten für die Sendung das Massaker am Turchino-Pass rekonstruiert.
  • Auf dem Farbfoto ist ein Ausschnitt der Dreharbeiten für die Dokumentation des Magazins Kontraste zu sehen. Mittig sitzt Friedrich Engel, inzwischen mit weißem Haar, auf einem Stuhl und studiert einige Akten, die er in der Hand hält. Weitere Unterlagen liegen auf seinem Schoß. Am unteren linken Bildrand ist der Bildschirm der Kamera zu erkennen, die Engel filmt.
    Am 12. April 2001 wird zur besten Sendezeit im ersten deutschen Fernsehen die investigative Sendung Kontraste ausgestrahlt. In dieser rekonstruieren die Journalisten René Althammer und Udo Gümpel das Massker des Turchino-Pass und zeigen, wie Friedrich Engel trotz seiner lebenslangen Haftstrafe in Italien unbehelligt in Hamburg lebt. © rbb Red. Kontraste
  • Das Farbfoto ist eine Aufnahme, die während der Dreharbeiten für das Magazin Kontraste entstand. Sie zeigt Friedrich Engel im Porträt. Sein Haar ist weiß und er trägt einen Pullover sowie einen Schal.
    © rbb Red. Kontraste
  • Eine Aufnahme aus dem Filmmaterial für das Magazin Kontraste. Das Farbfoto zeigt den Ausschnitt eines Fragebogens aus Engels SD-Personalakte.
    © rbb Red. Kontraste
Das Farbfoto ist eine Aufnahme, die im Rahmen der Dreharbeiten für das Magazin Kontraste entstand. Sie zeigt Engel im Porträt, in die Kamera sprechend.
© rbb Red. Kontraste

Es wäre gut gewesen, wenn ich mehr Zivilcourage gehabt hätte.

Friedrich Engel :
Der Spiegel, 28 Juni 2004

Quellen

Die SS-Personalakte wird im Bundesarchiv in Berlin aufbewahrt (R 9361-II/210036, R 9361-III/39025 und R 9361-III/523093). Zu seinem Leben nach dem Krieg siehe die Urteile des Hamburger Prozesses und der BGH-Revision. Einige biografische Informationen können über das Internet abgerufen werden.

Auswahl der Bibliografie

Christian Ingrao, Hitlers Elite. Die Wegbereiter des nationalsozialistischen Massenmords, Berlin, Ullstein, 2012 (Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, bpb, 2012). S. 48, 63, 65, 71, 85f., 112, 152, 206, 239f., 330. 

Ingo von Münch: Geschichte vor Gericht. Der Fall Engel, Hamburg, Ellert und Richter, 2004.

Pier Paolo Rivello, Il processo Engel, Recco, Le Mani, 2005.

Pier Paolo Rivello: Quale giustizia per le vittime dei crimini nazisti? L’eccidio della Benedicta e la strage del Turchino tra Storia e Diritto, Turin, Giappichelli editore, 2002. 

Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg, Hamburger Edition, 2002, S. 87, 509, 742-744, 838

Autor*innenschaft und Übersetzung

Autor: Carlo Gentile

Übersetzt aus dem Italienischen durch: Giulia Gostoli

© Projekt "Die Massaker im besetzten Italien (1943–45) in der Erinnerung der Täter“

2023

Text: CC BY NC SA 4.0

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