Das Ende eines Bündnisses
Der Sommer 1943 war ein entscheidender Moment in der Geschichte des modernen Italiens und markierte den Beginn des langen und beschwerlichen Weges des Landes vom Faschismus zur Demokratie. In jenen Tagen erreichte die schwere militärische, politische, wirtschaftliche, soziale und moralische Krise des faschistischen Regimes und der Monarchie ihren Höhepunkt. Es war eine Zeit voller einschneidender Ereignisse und dramatischer Veränderungen, in der sich auch der Prozess der Entfremdung zwischen Italien und Deutschland vollzog. Letzterer war vor allem von der Erosion des militärischen und politischen Bündnisses zwischen den beiden Diktaturen in den Jahren des gemeinsamen Krieges gekennzeichnet.
Zu diesem Zeitpunkt war die Illusion eines kurzen und leicht zu gewinnenden Krieges längst verflogen und die Misserfolge an den verschiedenen Kriegsfronten verstärkten die Kriegsmüdigkeit eines großen Teils der italienischen Bevölkerung, einschließlich des Königlichen Heeres.
Der Zusammenbruch der italienischen Truppen in Russland im Januar 1943, die Kapitulation der Achsenmächte in Tunesien im darauffolgenden Mai und die anschließende Landung der Alliierten auf Sizilien am 10. Juli verschärften die politische Krise des faschistischen Regimes, die mit der Verhaftung von Benito Mussolini am 25. Juli und seiner Ablösung durch Marschall Pietro Badoglio einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.
In den 45 Tagen zwischen der Absetzung Mussolinis und der Verkündung des Waffenstillstands mit den Alliierten am Abend des 8. September stand die italienische Regierung vor der Aufgabe, den Zusammenbruch des Faschismus im Inland zu bewältigen und den Krieg an der Seite Deutschlands fortzusetzen. Eine gleichzeitig stattfindende harte Repression im Innern förderte dabei mitnichten die nationale Einheit, sondern verstärkte die Spaltung der italienischen Gesellschaft.
Die Politik Pietro Badoglios war damit von vielen Ambivalenzen geprägt: Gegenüber dem deutschen Verbündeten forderte er Verstärkung und versicherte seine Loyalität gegenüber der Achse; den Anglo-Amerikanern gab er gleichzeitig widersprüchliche Signale über die Absichten der neuen italienischen Regierung. Die demokratischen und antifaschistischen Parteien Italiens, die darauf drängten, sich vom deutschen Verbündeten zu lösen und den Krieg unverzüglich zu beenden, hielt er im Unklaren, ohne Position zu beziehen.
Chronologie der Veränderungen
Im Sommer 1943 intensivierte sich die alliierte Bombardierung der italienischen Halbinsel. Der Krieg, den Italien und Deutschland in Europa und Afrika führten, erreichte das Land und forderte Hunderte von zivilen Opfern. Sowohl das künstlerische Erbe als auch die städtebauliche Struktur wurden schwer beschädigt. Neben den großen Industriestädten und Häfen, die bereits zuvor Ziel feindlicher Luftangriffe waren, wurden auch viele Städte von historischer Bedeutung beschädigt. Dabei wurden Denkmäler, Kirchen und die Bevölkerung schwer getroffen.
Das italienische Volk empfand das faschistische Regime mehrheitlich als moralisch bankrott, korrupt und unfähig, die Interessen des Landes zu verteidigen. Die militärischen Niederlagen, die Zerstörung der Städte und die Verarmung der Gesellschaft verstärkten diesen Eindruck. Nur eine kleine Gruppe von Parteifunktionären und "Kriegsgewinnlern" profitierte davon. Besonders das Bündnis mit Deutschland wurde als größtes Hindernis für den Frieden betrachtet. Die alliierte Propaganda schürte Ressentiments gegenüber den Deutschen, die im Verlauf des Jahres 1943 zunahmen.
Das italienische Volk empfand das faschistische Regime mehrheitlich als moralisch bankrott, korrupt und unfähig, die Interessen des Landes zu verteidigen. Die militärischen Niederlagen, die Zerstörung der Städte und die Verarmung der Gesellschaft verstärkten diesen Eindruck. Nur eine kleine Gruppe von Parteifunktionären und "Kriegsgewinnlern" profitierte davon. Besonders das Bündnis mit Deutschland wurde als größtes Hindernis für den Frieden betrachtet. Die alliierte Propaganda schürte Ressentiments gegenüber den Deutschen, die im Verlauf des Jahres 1943 zunahmen.
Die Fotografen der Propagandakompanien im Gefolge der Wehrmacht werden zu visuellen Chronisten dieser tiefgreifenden und dramatischen Veränderungen, die sich in dieser kurzen Zeitspanne in Italien vollzogen.
Fotoreporter und Soldaten: die Propagandakompanien
Die Nationalsozialisten erkannten schon früh die Bedeutung der Propaganda, um Zustimmung zu schaffen und ihren Aufstieg zu erleichtern. Nach der Machtergreifung wurden mit großem Geschick neue technische Mittel, vor allem Rundfunk, Film und Fotografie, eingesetzt.
Die Fotografie hat in Deutschland eine lange Tradition: In den 1920er Jahren hatte sich hier eine sehr moderne Form des Fotojournalismus entwickelt und die junge Weimarer Republik war eines der wichtigsten Zentren der künstlerischen Fotografie in Europa. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus waren die meisten Akteur:innen der künstlerischen Avantgarde des Landes gezwungen, zu emigrieren.
Während des NS-Regimes verschlechterte sich die Qualität der Fotografie erheblich: Teilweise wurden alte ästhetische Kanons der künstlerischen Fotografie aus dem späten 19. Jahrhundert wiederhergestellt. Darüber hinaus übte Propagandaminister Joseph Goebbels eine direkte und sehr strenge Kontrolle über alle Bereiche der künstlerischen Produktion in Deutschland aus und widmete dabei auch der Fotografie besondere Aufmerksamkeit.
Im Vorfeld des Krieges wurde 1938 zwischen Goebbels’ Ministerium und der Wehrmachtsführung die Einrichtung von militarisierten Propagandakompanien (PK) vereinbart, die sich größtenteils aus spezialisiertem Personal der verschiedenen Bereiche des Journalismus, der Kunst und des Films zusammensetzten.
Die Kompanien, die aus Journalisten, Malern, Kameraleuten und Fotografen bestanden, waren an allen Kriegsfronten tätig. Viele Aspekte ihrer Tätigkeit sind noch wenig bekannt. Einerseits wandten sich die PK durch Zeitungen, Bücher, Radiosendungen, Theater, Filme und Varietés an die sie begleitenden Truppen, andererseits sammelten und produzierten sie Material, das über die gleichgeschaltete Presse zu Propagandazwecken eingesetzt wurde. Hauptadressaten dieser Arbeit waren Zeitungen und Zeitschriften, wie die bekannte Zeitschrift „Signal“, die in mehreren Sprachen gedruckt wurde, und die „Deutsche Wochenschau“, die in allen besetzten Ländern ausgestrahlt wurde.
Fotografische Archive
Die gezeigten Fotografien stammen aus zwei Archiven: dem Bildarchiv des Bundesarchivs in Koblenz und den US National Archives. Das Bildarchiv des Bundesarchivs, dessen Bestände teilweise über eine Online-Datenbank zugänglich sind, enthält zahlreiche Fotos, die sich auf die Ereignisse des Sommers 1943 beziehen. Dies liegt zum einen an der spezifischen Aufbewahrungsgeschichte der Bestände - große Teile des Bestandes sind im Krieg zerstört worden, zum anderen daran, dass diese Bilder den propagandistischen Zwecken des nationalsozialistischen Regimes dienten.
Im Archiv sind vor allem Bilder von Propagandakompanien (PKs) erhalten, die die Heeres- und Luftwaffenverbände begleiteten. Dagegen fehlen häufig Bilder von Fotografen, die Marine- oder Waffen-SS-Einheiten zugeordnet waren. Insgesamt hat nur etwa ein Drittel des ursprünglichen Bildmaterials die Kriegszeit überstanden.
Die Fotografien aus den US National Archives wurden vermutlich gegen Ende des Krieges von amerikanischen Truppen beschlagnahmt und in die USA gebracht. Es handelt sich um Negative, die von Fotoreportern während ihrer Einsätze mit SS-Einheiten aufgenommen und später von alliierten Soldaten beschlagnahmt wurden. Ein Teil dieser Bilder wurde digitalisiert und ist online zugänglich, geordnet nach den Namen der Fotografen. Drei Bildgruppen beziehen sich direkt auf Italien: Fotos von Ferdinand Rottensteiner, Wolfgang Wiesebach und Hermann Grönert. Die ersten beiden Gruppen dokumentieren den Sommer 1943, Grönerts Aufnahmen stammen aus den ersten Monaten 1944 und zeigen die Kämpfe um den Landekopf bei Anzio.
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DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1742 (28.08.2023)
Sommer 1943: Von Verbündeten zu Feinden
Texte: Carlo Gentile
Bildrecherche: Carlo Gentile, Elena Pirazzoli
Redaktion und Layout: Elena Pirazzoli
Übersetzung: Milan Spindler