Einem deutschen Unteroffizier wird wegen Desertion vor dem Gericht der Militärkommandantur 1016 in Bergamo der Prozess gemacht. © BArch, Pers 15/147528

Desertion als Entscheidung: Motive, Hintergründe und Folgen

Das Phänomen der Desertion in den Reihen der deutschen Streitkräfte trat erst spät im Verlauf des Zweiten Weltkriegs auf und blieb relativ begrenzt. Dennoch erlangt dieser scheinbar marginale Aspekt eine große symbolische Bedeutung in der Erinnerung an den Widerstand gegen den Krieg und die Besatzungsherrschaft des nationalsozialistischen Deutschlands in Europa.

In Italien desertierten deutsche Soldaten insbesondere im Sommer 1944 und im Frühjahr 1945, wobei sich viele den alliierten Truppen ergaben. Andere versuchten, auf eigene Faust zu ihren Heimatorten zurückzukehren. Eine nicht genau zu bestimmende, aber vermutlich nicht unbedeutende Zahl dieser Deserteure schloss sich den Partisanen an. Für die Aufarbeitung der Massaker in dieser Zeit war der Beitrag der Deserteure oft von entscheidender Bedeutung, da ihre Zeugenaussagen in den Kriegsverbrecherprozessen der Nachkriegszeit eine wesentliche Rolle bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen spielten.

In der deutschen Gesellschaft wurden Deserteure lange Zeit als Verräter gebrandmarkt, und ihr Beitrag wurde auch von den Partisanen oft verkannt. Erst in den letzten Jahren erhielten die Wehrmachtsdeserteure nach einem langwierigen Kampf um die Anerkennung ihrer Rechte die gebührende Rehabilitierung.

Deserteure der Wehrmacht in Italien

In einem Bericht vom März 1944 werden Fälle von Desertion und unerlaubter Entfernung von Soldaten der 10. deutschen Armee erwähnt. © BArch, RH 20-10/189

Die Desertion von Soldaten der Streitkräfte NS-Deutschlands stellt ein vielschichtiges und komplexes Phänomen dar, das von zahlreichen Faktoren beeinflusst wurde. Sie wurde maßgeblich durch die zunehmende Krise der Wehrmacht begünstigt, die kurz vor ihrem endgültigen Zusammenbruch stand. Bis zum Sommer 1944 blieb die Desertion ein zahlenmäßig vernachlässigbares Phänomen, das überwiegend auf individuelle Motive zurückzuführen war: Widerstand gegen das NS-Regime und den Krieg im Allgemeinen, der Wunsch, dem militärischen Dienst zu entgehen, oder – im Fall von Wehrpflichtigen nicht-deutscher Abstammung wie Polen, Slowenen und Elsässern – nationalistische Ablehnung der deutschen Vorherrschaft. An der italienischen Front erreichte die Desertion ihren Höhepunkt in zwei Phasen: im Sommer 1944 und im Frühjahr 1945.

Im Sommer 1944, während des Rückzugs auf die "Gotische Linie", kam es in Mittelitalien zu einer auffälligen Häufung von Desertionen. Tausende Soldaten, bedrängt durch die vorrückenden Alliierten, entschieden sich, sich freiwillig zu ergeben. Die anschließende Winterpause in den Apenninen bot vielen Soldaten die Gelegenheit, ihre Haltung gegenüber dem Krieg und ihre Loyalität zum NS-Regime zu überdenken. In dieser Phase, als der endgültige Zusammenbruch absehbar wurde, schwächte sich der bisher stark ausgeprägte Selbsterhaltungstrieb sowie das Verantwortungsgefühl gegenüber der Familie, die viele zuvor davon abgehalten hatten, die Wehrmacht zu verlassen, zunehmend ab.

Diese Atempause ermöglichte es jenen, die sich der bevorstehenden Schlacht in der Poebene entziehen wollten, ihre Flucht sorgfältig vorzubereiten. Viele Deserteure hegten die Hoffnung, so schnell wie möglich ins zivile Leben zurückkehren zu können, ohne in einem Kriegsgefangenenlager kostbare Zeit zu verlieren. Dennoch handelte es sich hierbei eindeutig um eine kleine Minderheit. Die Mehrheit der Soldaten verharrte angesichts der drohenden Katastrophe in Passivität. 

Die meisten Deserteure liefen zu den alliierten Truppen über, während die Zahl derjenigen, die sich den Partisanen anschlossen, vergleichsweise gering blieb. In den meisten Fällen wollten Deserteure dem Krieg entkommen und sahen größere Chancen, indem sie sich als Kriegsgefangene den Alliierten ergaben. Der Übertritt zu den Partisanen war mit deutlich größeren Risiken verbunden, da diese in den rückwärtigen Gebieten operierten und häufig Razzien sowie schweren Entbehrungen ausgesetzt waren. Zudem begegneten die Partisanen Neuankömmlingen oft mit Misstrauen und nahmen in der Regel nur Österreicher und Deserteure auf, die nicht aus Deutschland stammten.

Je nach Lage gingen viele Partisanenverbände ohne Zögern dazu über, übergelaufene deutsche Soldaten zu töten. Kommunistische Einheiten hingegen nahmen Deserteure slawischer oder sowjetischer Herkunft aus ideologischer Verbundenheit und Bewunderung für die Sowjetunion meist vorbehaltlos auf.

„Ergeben Sie sich den Alliierten oder gehen Sie zu den Partisanen über“.

Flugblatt italienischer Partisanen, das deutsche Wehrmachtssoldaten zur Desertion bewegen sollte. © Istituto piemontese per la storia della Resistenza e della società contemporanea "Giorgio Agosti", Torino (ISTORETO), fondo Bogliolo Mario, busta B AUT/mb3, fascicolo 19 Propaganda

Die meisten Deserteure liefen zu den alliierten Truppen über, während die Zahl derjenigen, die sich den Partisanen anschlossen, vergleichsweise gering blieb. In den meisten Fällen wollten Deserteure dem Krieg entkommen und sahen größere Chancen, indem sie sich als Kriegsgefangene den Alliierten ergaben. Der Übertritt zu den Partisanen war mit deutlich größeren Risiken verbunden, da diese in den rückwärtigen Gebieten operierten und häufig Razzien sowie schweren Entbehrungen ausgesetzt waren. Zudem begegneten die Partisanen Neuankömmlingen oft mit Misstrauen und nahmen in der Regel nur Österreicher und Deserteure auf, die nicht aus Deutschland stammten.

Je nach Lage gingen viele Partisanenverbände ohne Zögern dazu über, übergelaufene deutsche Soldaten zu töten. Kommunistische Einheiten hingegen nahmen Deserteure slawischer oder sowjetischer Herkunft aus ideologischer Verbundenheit und Bewunderung für die Sowjetunion meist vorbehaltlos auf.

Das deutsche Militärstrafgesetzbuch (MStGB) regelte die Straftatbestände der unerlaubten Entfernung (§ 64) und der Fahnenflucht (§ 69). © Verlag E. S.Mittler & Sohn, 1940, Berlin

Deutsche Zeugenaussagen

Die Zitate stammen aus Briefen von Wehrmachtssoldaten an der italienischen Front und sind bezeichnend für die Stimmungen der Soldaten, ihre Sorgen und ihre Gefühle. Alle Aussagen stammen aus Zensurberichten der deutschen Armeen in Italien, die im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg aufbewahrt werden.

Quellen

Der marginale Charakter des Phänomens der Desertion in Italien spiegelt sich in der Knappheit der Quellen wider. Teilweise finden sich Zahlenangaben in den Beständen der Ämter IIa/IIb (Personal) der Armee- und Armeekorpskommandos; Zahlen zu Beschwerden und Verfahren finden sich in den Materialien des Amtes III (Militärjustiz) und in jenen der Sektion Ic (Gegnerische Lage, Sicherheit, Spionageabwehr, Zensur). Bemerkenswert sind die Berichte der Postzensurämter, in denen zahlreiche Auszüge von Briefen von Soldaten an die Front zu finden sind (RH 20-10/187, RH 20-10/189, RH 20-10/191, RH 20-10/199). Einige davon beziehen sich auf den Winter 1943/44, Sommer und Herbst 1944. Zu erwähnen sind auch die Berichte der Kommissariate von Geheime Feldpolizei, der jeder Armee zugewiesenen geheimen Feldpolizei (RH 20-10/195, RH 20-10/197, RH 20-10/199).

Zu den wichtigsten Materialien gehören die Verfahrensakten des PERS 15-FONDS (Bundesarchiv-Militärarchiv). Diese Akten enthalten Dokumente, die von der Anzeige oder Verhaftung von Deserteuren bis zum Prozess, der Verurteilung und der damit verbundenen Hinrichtung reichen und eine wichtige Quelle für die Sozialgeschichte der Wehrmacht darstellen.

Biografische Recherchen zu einzelnen Personen sind in der Abteilung Personenbezogene Auskünfte zum Ersten und Zweiten Weltkrieg, auch Abteilung PA genannt, am Bundesarchiv in Berlin durchzuführen, in die am 1. Januar 2019 die alte Deutsche Dienststelle (WASt) eingeflossen ist. Die Menge der verfügbaren Informationen und Daten zu einzelnen Personen kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Obwohl es nicht möglich ist, Spuren von jedem Soldaten zu finden, stellen diese Materialien die umfangreichste Dokumentation über das Personal der deutschen Streitkräfte während des Zweiten Weltkriegs dar.

Material über Deserteure findet sich auch außerhalb Deutschlands. Quantitative Daten und Verhörprotokolle sind in den Archiven der alliierten und neutralen Länder wie dem Schweizer Bundesarchiv, den Nationalarchiven in den USA und Großbritannien verfügbar. Auch in italienischen Archiven, insbesondere in den Instituten für die Geschichte des Widerstands und der zeitgenössischen Gesellschaft, die sich an zahlreichen Orten Italiens befinden, finden sich mitunter wichtige Unterlagen.

Das deutsche ikonografische Material zu diesem Thema ist sehr selten, während es zahlreiche Fotografien deutscher Gefangener gibt, die von angloamerikanischen Kriegskorrespondenten aufgenommen wurden. Die wenigen Bilder von Deserteuren, die in den Reihen der Partisanengruppen abgebildet sind, werden in den fotografischen Beständen der letzteren oder von Privatpersonen, den Familien der Deserteure, aufbewahrt und sind nicht immer leicht zugänglich.

Ausgewählte Bibliographie

Mirco Carrattieri, Iara Meloni (a cura di), Partigiani della Wehrmacht: disertori tedeschi nella Resistenza italiana, Le piccole pagine, Calendasco, 2021. 

Francesco Corniani, Deserteure der Wehrmacht in Italien, 1943-1945 - Überläufer zu den Alliierten oder den Partisanen: Identität, Zahlen, Motive, Reaktionen, in: Kerstin von Lingen / Peter Pirker (Hrsg.), Deserteure der Wehrmacht und der Waffen-SS. Entziehungsformen, Solidarität, Verfolgung, Brill/Schöningh, Paderborn, 2023, S. 81-96.

Carlo Gentile, Dem Verbrechen entfliehen. Aussagen junger Wehrmachts- und SS-Deserteure in Kriegsverbrecherprozessen der Nachkriegszeit, in: Kerstin von Lingen / Peter Pirker (Hrsg.), Deserteure der Wehrmacht und der Waffen-SS. Entziehungsformen, Solidarität, Verfolgung, Brill/Schöningh, Paderborn, 2023, S. 283-290.

Kerstin von Lingen / Peter Pirker (Hrsg.), Deserteure der Wehrmacht und der Waffen-SS. Entziehungsformen, Solidarität, Verfolgung, Brill/Schöningh, Paderborn, 2023.

Kerstin von Lingen, Kosaken und Kaukasier in Oberitalien, 1944-45: Zwischen Kollaboration und Desertion, in: Kerstin von Lingen / Peter Pirker (Hrsg.), Deserteure der Wehrmacht und der Waffen-SS. Entziehungsformen, Solidarität, Verfolgung, Brill/Schöningh, Paderborn, 2023, S. 115-146.

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